Hochempfindsam: Arturo Benedetti Michelangeli (1920–1995)
Wer die Musik nicht absolut verehrte und ihn dann auch noch bei seiner wichtigsten Tätigkeit störte, der konnte zu seinem ärgsten Feind werden. Da kannte Arturo Benedetti Michelangeli kein Pardon. Die verletzliche Kehrseite seines hochreizbaren Temperaments war seine musikalische Empfindsamkeit. Michelangeli schätzte feinste Differenzen am Klavier. Er interessierte sich für emotionale, klangliche und poetische Nuancen, an denen andere Interpreten achtlos vorbeigehen.
Das macht ihn zu einer solistischen Größe auf dem Niveau von
Glenn Gould,
Alfred Brendel,
Vladimir Horowitz oder
Grigory Sokolov. Wie diese Ausnahmepianisten, so verfügte auch Michelangeli über einen ureigenen Stil. Dessen Hauptmerkmal: die Transparenz des Klangs. Der “
Divino Arturo” war wie manisch darauf aus, jeden einzelnen Ton glasklar hervortreten zu lassen, und so kühl diese pianistische Leidenschaft auf den ersten Blick auch anmutet, so umwerfend sind deren Ergebnisse.
Geradlinige Spielkultur: Eine kristallklare Poesie
Fachleute wissen seit langem um die außerordentlichen Qualitätrn von Michelangelis Klavierkunst. Einer breiteren Öffentlichkeit ist der italienische Pianist rund 20 Jahre nach seinem Tod jedoch kaum noch ein Begriff. Umso erfreulicher, dass jetzt eine Edition erscheint, die das Schaffen dieser schillernden Künstlerpersönlichkeit würdigt und sich ausgezeichnet eignet, eine Verbindung zum jüngeren Teil des klassikbegeisterten Publikums herzustellen.
“Arturo Benedetti Michelangeli – Complete Recordings on Deutsche Grammophon” umfasst 10 CDs und enthält sämtliche Aufnahmen, die der italienische Pianist für das Gelblabel getätigt hat. Hinzu kommen die legendären Einspielungen bei Decca, die in eine frühe Phase von Michelangelis Laufbahn fallen. Hier hört man ihn mit pulsierender Eindringlichkeit
Scarlatti und
Beethoven spielen. Eine kristallklare Poesie, die in der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts ihresgleichen sucht.
Edle Edition: Portrait eines charismatischen Künstlers
Das Repertoire der Ausgabe reicht von
Galuppi und
Mozart über romantische Literatur (
Schubert,
Schumann,
Chopin u.a.) bis hin zum musikalischen Impressionismus (
Debussy). Von atemberaubender Eindringlichkeit sind die Préludes von Debussy, die Michelangeli sanft perlen lässt. Die klangliche Farbenpracht ist überwältigend. Der italienische Pianist setzt mit diesen Aufnahmen bis heute Maßstäbe. Erstaunlich beschwingt muten für einen so ernsten Charakter wie Michelangeli dagegen seine Mozart-Aufnahmen an.
Die Klavierkonzerte Nr. 13, 15, 20 und 25 des Salzburger Komponisten verströmen die reinste Musizierfreude, woran auch die enthusiastische Begleitung des NDR-Sinfonieorchesters unter der Leitung von Cord Garben einen maßgeblichen Anteil hat. Im romantischen Repertoire besticht Michelangelis Fähigkeit, sich der Musik mit voller Leidenschaft hinzugeben, ohne je die Kontrolle über sein Instrument zu verlieren. Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 unter der Begleitung der Wiener Philharmoniker (Giulini) ist ein eindrucksvolles Zeugnis hierfür.
Nichts zu wünschen übrig lässt schließlich auch die äußere Gestalt der Edition. Die CD-Hüllen sind den Covern der Ersterscheinungen nachempfunden, und das edel gestaltete Booklet liefert ein ansprechendes Portrait der faszinierenden Persönlichkeit des italienischen Pianisten. Die seltenen Fotographien des Pianisten und der mitreißende Essay seines langjährigen musikalischen Wegbegleiters Cord Garben lassen hinter der subtilen Klangkunst von Arturo Benedetti Michelangeli den charismatischen Menschen sichtbar werden.