Carlo Bergonzi gab sein letztes großes Konzert 1995 in Wien. Seither gönnt sich der Tenor in der Verdi-Stadt Busseto die Ruhe des Alters. Nach einem knappen halben Jahrhundert auf den großen Bühnen der Welt hat er sich das redlich verdient. Decca hat diesen außergewöhnlichen Sänger ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre begleitet und produzierte zahlreiche wunderbare Aufnahmen von Bergonzi in ausgezeichneter Tonqualität. Anlässlich seines 90. Geburtstags erscheint jetzt die Edition “Carlo Bergonzi – The Verdi Tenor”. Sie vereint auf 17 CDs die legendäre Sammlung von 31 Tenorarien Verdis, sechs Gesamtaufnahmen von Verdi-Opern und Bergonzis komplettes erstes Opern-Recital, aufgenommen 1957 in Florenz.
Erfolgreicher Wechsel ins Tenorfach
Seine eigentliche Stimmlage entdeckte Carlo Bergonzi erst beim zweiten Anlauf. Am 13. Juli 1924 im italienischen Vidalenzo geboren, studierte er am Konservatorium von Parma zunächst das Bariton-Fach. Seine Bühnenpremiere hatte er 1948 daher auch mit der Rolle des Lecce in Rossinis “Il Barbiere Di Siviglia”. Er schlüpfte daraufhin in die Figur des Rigoletto und des Marcel aus Puccinis “La Bohème”, war jedoch nicht zufrieden mit den Resultaten und begann erneut zu studieren.
Bergonzis Skepsis hatte ihren Grund, denn erst als er sich auf die höhere Lage des Tenors einließ, hatte er seine wirkliche Stimme gefunden. Sein Debüt im neuen Fach bot er am 12.Januar 1951 in Bari als André Chénier in Umberto Giordanos gleichnamiger Oper. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Kurz darauf engagierte ihn der italienische Rundfunk als Sänger für Sendungen anlässlich der Feierlichkeiten zu Verdis 50. Todestag. Seine Stimme erschallte landesweit und wurde begeistert aufgenommen.
In den folgenden Jahren sang Bergonzi reichlich Verdi, wurde 1955 nach London und Chicago (“Il Tabarro”, “Cavalleria rusicana”), 1956 schließlich an die Met (“Aida”, “Il Trovatore”) eingeladen. Sein Renommee wuchs beständig, besonders als er an der Seite von Maria Callas in Donizettis “Lucia Di Lammenmoor” brillierte. Bergonzi entwickelte sich zu einem der führenden Tenöre des italienischen Repertoires, sang über 60 verschiedene Partien mit einer stilistischen Bandbreite von Amilcare Ponchielle bis Jules Massenet. Ein untrügliches Stilempfinden, eine perfekte Atemtechnik und vollendete Phrasierungskunst kennzeichneten Bergonzis Gesang.
Sonderediton zum 90. Geburtstag des Verdi-Tenors
Bergonzi wird weithin als größter Verdi-Tenor des 20. Jahrhunderts gerühmt. Das unterstreicht jetzt die Edition “Carlo Bergonzi – The Verdi Tenor”. Besonders eindrucksvoll ist die Zusammenstellung von Verdi-Arien mit Aufnahmen, die Mitte der 1970er Jahre entstanden. Sie zeigen einen in jeder Hinsicht perfekt phrasierenden und artikulierenden Bergonzi, der sich berühmter Tenor-Rollen von Oberto bis Falstaff annimmt. “Kein anderer Sänger hat sich dieses Experiment zugetraut, kein anderer hätte es so perfekt bestanden wie Bergonzi”, schreibt Jens Malte Fischer über diese Aufnahmen.
“In keiner seiner rund 25 Gesamtaufnahmen aus einem Repertoire von über 65 Rollen hat er eine schwache Leistung geboten”, urteilt Jürgen Kesting. “Carlo Bergonzi – The Verdi Tenor” beinhaltet sechs der bedeutendsten Opernaufnahmen Bergonzis: “Aida” (Karajan), “Un ballo in maschera” (Solti), “La Traviata” (Pritchard), “Don Carlo” (Solti), “Rigoletto” (Kubelik) und “Il trovatore” (Serafin).
Das 1957 auf dem ersten Höhepunkt seines Ruhm aufgenommene “Operatic Recital” wiederum dokumentiert Carlo Bergonzi mit einem Dutzend berühmter Melodien, die über den Verdi-Schwerpunkt hinausreichen. Hier finden sich Arien von Meyerbeer und Giordano, Cilèa und Puccini und zeigen einmal mehr, dass Bergonzi zu den bewegenden Stimmen des vergangenen Jahrhunderts gehört.
Ein 120-seitiges Booklet rundet diese essenzielle Bergonzi-Edition ab.