Vinyl klingt anders. Auch wenn mancher Test etwas anderes behauptet, ist klar, dass die gute alte Rille einen anderen Höreindruck vermittelt als eine CD, eine DVD oder BluRay. Und deshalb sind besondere Pressungen auch noch immer ein Leckerbissen für alle Verehrer des Audiophilen. Hier kommt nun ein Feature aus den grandiosen Beständen der Archiv Produktion.
Fokus Bach
Zum Beispiel von dem legendären Organisten Helmut Walcha, der allerdings mit den neuen Möglichkeiten der Aufnahmetechniken erst einmal kämpfen musste. Denn als um 1950 die Langspielplatte eingeführt wurde und mit einem Mal Musik wesentlich rauschärmer als auf Schellack zu hören war, musste sich Helmut sich eine neue Orgel für seine Bach-Interpretationen suchen. Ohne das Knistern des Grammophons im Hintergrund konnte man plötzlich die Autos hören, die während der Aufnahmen an der Lübecker Jakobi-Kirche vorbei knatterten. Und Helmut Walcha war besessen davon, seinem musikalischen Idol Johann Sebastian Bach die größtmögliche Perfektion angedeihen zu lassen.
Das führte zwischen 1947 und 1952 dazu, dass er alle greifbaren und eindeutig zuzuordnenden Orgel-Kompositionen des Meisters für die Archiv Produktion der Deutschen Grammophon festhielt. Doch kaum hatte er die Einspielungen fertiggestellt, revolutionierte die Markteinführung der Stereo-Aufnahme den Musikmarkt. Walcha wiederum sah das als eine Chance, bestimmte Details zu verbessern und machte sich von 1956 an noch einmal an die Gesamteinspielung des Bach‘schen Orgelwerks, diesmal in Zweikanalton und mit Orgeln, die im Vergleich zu den beiden historischen Vorgängern noch brillanter, „stereophoner“ waren, und deren erste Aufnahmen zu den Schätzen der 5LP-Box Classic Recordings 1956–82 gehören.
Richter und Harnoncourt
Moden waren Karl Richter ihm suspekt. Als man sich in den Fünfzigern anschickte, sich mehr und mehr nach historischen Aufführungskriterien zu richten, blieb er seiner einmal eingeschlagenen Linie treu und verwendete auch weiterhin moderne Instrumente. Schließlich werde eine uninspiriert gespielte Komposition durch das musikgeschichtliche Beiwerk auch nicht besser, pflegte er prosaisch seine Klarheit zu erläutern. Egal, ob als Ensemble-Leiter, Cembalist oder Organist, Richter folgte seiner Idee von Klängen, von lebendigem Ausdruck und beseeltem Geschehen auf der Grundlage technischer und instrumentaler Meisterschaft. Und die Classics Recordings featuren ihn mit frühen Aufnahmen der famosen Bach-Kantaten Jauchzet Gott in allen Landen BWV 51 und Weichet nur, betrübte Schatten BWV 20.
Nikolaus Harnoncourt hingegen gilt als zentraler Wegbereiter der historischen Aufführungspraxis. Spätestens von dem Moment an, als er Mitte der Siebziger in Zürich mit seinen klanglich möglichst originalen Inszenierungen von Monteverdi-Opern die Rezeption des Musiktheaters revolutionierte, gehörte der Dirigent, Cellist und Musikwissenschaftler zu den anerkannten Spezialisten für möglichst werkgetreue und wissenschaftlich fundierte Interpretationen. Neben Monteverdi setzte sich Harnoncourt unter anderem für eine klischeefreie Deutung von Mozarts Oeuvre ein. Und er widmete sich auch Werken des Barocks, wie etwa der höfischen Musik von Muffat und Biber mit dem Concentus Musicus Wien, mit dem er eine LP der Classic Recordings bestreitet.
Goebel und Pinnock
Bleiben noch zwei weitere Pretiosen dieser Sammler-Edition, die auf 180g sorgfältig gepresstem Vinyl und durch ein 16-seitiges Booklet mit raren Aufnahmen und Faksimiles ergänzt jeden Plattenschrank veredelt. Da ist zum einen ein legendäres Programm mit französischer Barock-Musik unter dem Titel Le Parnasse Français, mit dem sich Reinhard Goebel und die von ihm gegründete Musica Antiqua Köln um die Klanggestalt dieser Zeit verdient gemacht hat. Denn Goebel hatte das Ensemble ins Leben gerufen, um den Bedürfnissen der historischen Aufführungspraxis entgegen zu kommen, und sich damit über die Jahrzehnte hinweg um der Musikpflege auf Originalinstrumenten nach musikgeschichtlich möglichst korrekten Vorlagen verdient gemacht.
Trevor Pinnock wiederum nimmt unter den englischen Spezialisten für historischen Aufführungspraxis eine Sonderstellung ein. Zum einen gehörte er zu den ersten, der 1972 mit The English Concert ein Ensemble gründete, das sich der Wiedergabe barocker Werke auf Originalinstrumenten widmete. Auf der anderen Seite aber vermied er es von Anfang an, sich sklavisch an die Vorgaben der Partituren zu halten und legte Wert darauf, ein persönliches Element der Einschätzung eines Werkes in die Interpretationen einfließen zu lassen. Seine Versionen von Händels Concerti Grossi op.6, Nr.9–12 gehören daher zu den Schmuckstücken der Interpretation von Barockmusik und runden die Classic Recordings mit wunderbaren Orchesterklängen ab.