Hector Berlioz war empört, allerdings weniger wegen der Aufführung an sich, sondern eher, weil seiner Meinung nach Italiener wie Gaetano Donizetti in der Pariser Opéra Comique viel Raum gegeben wurde, anstatt dass man sich um den eigenen Nachwuchs kümmerte. Jedenfalls hinterließ er in der Funktion als Kritiker einen verschnupften Veriss, der es aber trotzdem nicht verhindern konnte, dass “La Fille du Régiment” sich zu einem beliebten Klassiker der Opernbühne entwickelte. Allein an der Pariser Operetten-Adresse wurde es von der Uraufführung 1840 an bis 1916 rund eintausend Mal gespielt. Weltweit folgten zahlreiche ähnliche Engagements. So ist das Verwirrspiel um Rang und Namen, Liebe und Pflicht bis heute eine Paradestück der unbeschwerten Opernkunst, insbesondere wenn großartige Sänger wie Juan Diego Flórez mit von der Partie sind.
Ursprünglich spielt “La Fille du Régiment” im Frankreich der napoleonischen Kriege. Da die Handlung sich aber kaum auf konkrete historische Ereignisse bezieht und auch die Figuren weitgehend typologisch gehalten sind, bieten sich für Inszenierungen die Möglichkeiten, das menschliche Geschehen in nachvollziehbarere, zeitnahe Zusammenhänge zu versetzten. Der Regisseur Emilio Sagi, der sich um die Umsetzung des Stücks am Teatro Carlo Felice in Genua kümmerte, wagte daher den Schritt, das Bühnengeschehen rund 150 Jahre später stattfinden zu lassen: “Als ich mir diese Donizetti-Oper näher ansah, erkannte ich, dass der Komponist seine eigene, sehr italienische Inspiration mit dem ganzen Witz und der ganzen Brillanz der französischen Operette verbunden hatte. Meiner Meinung nach wollte er eine ausgesprochene Komödie schaffen, aber eine mit einem Anflug von Nostalgie, die eher mit sympathischen Figuren als mit Karikaturen bevölkert ist. Mein Ziel zu Beginn der Arbeit an dieser Fille war es also, größeres Verständnis für die Psychologie der Protagonisten einzubringen. Ich wollte sie als menschliche Wesen und nicht als Puppen haben, wollte ihnen ihre eigenen Stärken und Schwächen geben und sie dadurch sowohl lebensnäher als auch unterhaltsamer machen”. Sagi verlegte daher die Handlung in ein Dorf im Frankreich der letzten Tage des zweiten Weltkrieges, änderte den Dorfplatz in eine Dorfkneipe und führte das Regiment der Alliierten ein, zu dem Marie als Maskottchen gehört.
Für die Handlung sind diese Veränderungen durchaus von Vorteil, denn sie vermeiden lächerlich wirkende Anachronismen. Tonios Seelenqualen als jemand, der zunächst der Kollaboration bezichtigt wird, sich dann aber in die Regimentstochter verliebt und daher den Soldaten anschließt, werden vor diesem Hintergrund nachvollziehbar ebenso wie der aussichtslose Kampf der Marquise de Berkenfeld für die Erhaltung überkommener aristokratischer Strukturen glaubhaft an der Liebe ihrer neu entdeckten Tochter Maria zu eben jenem Jüngling Tonio scheitert. Dabei hilft nicht nur die Inszenierung einem profunden Verständnis, sondern auch die Präsenz der Darsteller. Die Regimentstochter etwa wird von der schnippischen Patrizia Ciofi verkörpert, für die Rolle ihres Liebhabers Tonio konnte der peruanische Tenorstar Joan Diego Flórez gewonnen werden. Sie erweisen sich als hervorragendes Gesangsgespann, dem von Naivität und Koketterie bis hin zu glühender Leidenschaft eine wunderbar geschickte Darstellung der komplexen gegenseitigen Beziehung gelingt. Dazu gesellen sich die versierten Ensemblekollegen des Teatro Carlo Felice, außerdem Chor und Orchester des Hauses unter der Leitung von Riccardo Frizza. Auf der DVD wahlweise im Surround Sound oder dem gewohnten Stereo zu genießen, kann man auf diese Weise einen betörenden Opéra Comique-Abend erleben, der darüber hinaus noch durch ein “Making Of” der Inszenierung von Roberto Giannarelli und ein filmisches Kurz-Portrait des Opernhauses ergänzt wird. Eine rundum bunte und umfassende Präsentation der “Fille du Régiment” also, die nicht zuletzt einen der besten und wandlungsfähigsten Tenöre unserer Zeit in einer Glanzrolle präsentiert.