András Schiff | News | Oase der Stille – András Schiff interpretiert Bach auf dem Clavichord

Oase der Stille – András Schiff interpretiert Bach auf dem Clavichord

András Schiff
Nadja Sjöström / ECM Records
26.01.2023
Bach ist für András Schiff eine Obsession. Kein anderer Komponist zieht den ungarischen Pianisten so stark in Bann wie der visionäre Thomaskantor. „Zu Hause“, bemerkt Schiff im Booklet seines neuen Albums, „beginnen meine Tage immer mit Bach.“ Früher saß er dabei am Klavier. Jetzt sitzt er bei seinen morgendlichen Bach-Exerzitien an einem Clavichord. Schiff sorgt seit knapp einem Jahrzehnt immer wieder mit historisch informierten Aufnahmen für Aufsehen. So hat er für die New Series Beethoven auf einem Bechstein-Flügel, Schubert auf einem Brodmann und zuletzt Brahms auf einem Blüthner-Flügel aufgenommen. 
All diese Aufnahmen bestechen in je individueller Weise durch sangliche Eleganz, forcierte Dynamik, überraschende Farbpaletten und ein ungewöhnliches Maß an harmonischer Transparenz. Ein moderner Flügel mag über mehr Volumen und ein ausgewogeneres Klangbild verfügen, in kantabler und dynamischer Hinsicht besitzen historische Tasteninstrumente oft ungeahnte Vorteile. Mit seinem neuen Bach-Album tritt Schiff seinen vielleicht waghalsigsten Beweis für dieses Phänomen an.
Sangliche Qualitäten
Das Clavichord, auf dem er nun pianistische Schlüsselwerke von Bach interpretiert, ist weit von der dem zeitgenössischen Hörgefühl vertrauten, mächtigen Klanggestalt eines modernen Flügels entfernt. Doch je länger man dem Instrument lauscht, desto deutlicher enthüllt es seine musikalischen Qualitäten. Es ist ein stiller, intimer Ton, der das Clavichord auszeichnet. Für Schiff gleicht das Instrument, das der belgische Clavichord- und Orgelbauer Joris Potvlieghe 2003 als Nachbildung eines Specken-Clavichords von 1743 schuf, einer „Oase mitten in unserer lärmigen Welt“. 
Der Pianist weiß die intimen Qualitäten des Instruments zu nutzen. Man fühlt sich wie in einem Raum mit ihm, wenn er mit dem Capriccio in B-Dur (BWV 992), den Inventionen und Sinfonien (BWV 772–801), den Vier Duetten (BWV 802–805), dem Ricercar à 3 aus dem Zyklus „Musikalisches Opfer“ (BWV 1079) und der Chromatischen Fantasie und Fuge (BWV 903) sein breitgespanntes Bach-Programm vorträgt.
Oase der Stille
András Schiff ist bekannt für einen Bach-Stil, der äußerste Präzision mit einem sanften Anschlag und gesanglicher Noblesse verbindet. Diese Mittel bewähren sich auch am Clavichord, nehmen dort jedoch eine komplett andere Färbung an: Schiff trotzt dem Instrument eine Stimmung der maximalen Konzentration und poetischen Dichte ab. So wird man etwa bei der Chromatischen Fantasie und Fuge, die als Höhepunkt des Albums gelten kann, keinen Moment von der virtuosen Wucht des Werks abgelenkt oder gar überwältigt, sondern kann sich ganz auf die Schönheit und frappierende Modernität der Harmonien einlassen. 
In dieser Manier fügt Schiff seinen Bach-Aufnahmen für die New Series eine wesentliche Neuerung hinzu, was seine feingliedrigen Einspielungen der Goldberg-Variationen (2001), der Sechs Partiten (2007) und des Wohltemperierten Klaviers (2012) nicht im Geringsten relativiert. Schiff hat nicht vor, sich vom modernen Klavier zu verabschieden. Aber seine Erfahrungen am Clavichord lassen auch an seinem klangvollen Bösendorfer Veränderungen erwarten. „Dank des Clavichords“, so Schiff selbst, „höre und spiele ich Bach – selbst auf dem modernen Flügel – anders als einst: differenzierter, verständlicher.“

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