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Andreas Scholl auf Tour

Andreas Scholl Wanderer
21.01.2004
ANDREAS SCHOLL geht mit dem Programm seiner aktuellen CD “ARCADIA” auf Deutschlandtour! Der Titel “ARCADIA” bezieht sich auf den Mythos um ein verlorenes, goldenes Zeitalter. Die Musik entstammt dem Umfeld einer römischen Geheimgesellschaft, der “Accademia Arcadia”. Deren Komponisten laut Andreas Scholl “eine Gruppe barocker Hippies” waren. Sie umgingen das damals herrschende vatikanische Opernverbot, kommunizierten durch geheime Codes und trafen sich regelmäßig im konspirativen Kreis, um sich gegenseitig ihre Kompositionen vorzuspielen.
Keines dieser Stücke ist bisher auf CD aufgenommen worden! Die Musik dieser CD ist eine Weltpremiere auf Tonträger! Andreas Scholl und das Ensemble der Accademia Bizantina holen diese Kantanten ins Heute und interpretieren mit großer Liebe zum Detail das spätbarocke Notenmaterial. Dieses interessante musikalische Konzept können Sie demnächst in Deutschland 3-mal live erleben! Und wer jemals den attraktiven Countertenor Scholl auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass seine Konzerte ein besonderes Erlebnis sind. Nicht nur wegen der strahlenden Stimme des Sängers, sondern auch wegen seiner leidenschaftlichen Art des Musizierens. Klassikakzente verlost für jedes seiner Konzerte zwei Tickets.
 
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Sind Sie neugierig geworden? Dann lesen Sie das aufschlußreiche Interview, dass Andreas Scholl dem englischen Journalisten Michael Church zum Thema der CD gegeben hat!
 
Konzertdaten:
 
25. 01. 2004 Berlin (Konzerthaus)
27. 02. 2004 München (Prinzregenten-Theater)
29. 02. 2004 Köln (Philharmonie)

Andreas Scholl im Gespräch mit Michael Church
 
MC: Hat es etwas zu bedeuten, dass Sie in einer Zeit, in der das Leben auf unserer Welt sehr schwierig ist, eine CD über ein mythisches goldenes Zeitalter machen?
 
AS: Natürlich. Kreativität ist eine Gabe Gottes, und wir können entscheiden, wie wir sie einsetzen – um Atombomben zu erschaffen oder Bachs Messe in h-moll. Es ist wichtig, die schönen Dinge zu zeigen, die wir mit unserer Kreativität machen können. Das Traurige an der Kultur ist, dass man ihre Bedeutung erst erkennt, wenn sie untergegangen ist, wenn es zu spät ist.
 
MC: Die Musik auf dieser CD war praktisch auch schon untergegangen, oder? Wie haben Sie sie entdeckt?
 
AS: Das ist eine lange Geschichte. Ich hatte viele Bücher über die Templer gelesen, über den Heiligen Gral und das frühe Christentum, und immer wieder tauchte die Vorstellung von Arkadien auf, dem verlorenen goldenen Zeitalter. Ich war regelrecht besessen von einem Gemälde Poussins, das im Louvre hängt – ich bin eigens hingefahren, um es mir anzusehen, denn es birgt eindeutig ein Geheimnis. Es lässt einen nicht los, es ist ein bisschen traurig – man sieht Schäfer, die in einer wunderschönen Landschaft um einen riesigen Steinsarg stehen. Und im lateinischen Titel fehlt ein Wort: “Et in Arcadia ego” – “Auch ich in Arkadien.” Das “bin” fehlt. Einige Kunsthistoriker meinen, dass dieses fehlende Wort eine Botschaft enthält; manche halten es sogar für einen Hinweis auf einen vergrabenen Schatz. Und einer stellte fest, dass es ein Anagramm von “Tego arcana Dei” ist, was soviel bedeutet wie: “Ich hüte die Geheimnisse Gottes”. Aber eins wissen wir: Poussin gehörte zu einer Geheimgesellschaft, die durch geheime Kodes kommunizierte. Ich wünsche mir, dass Menschen dieses Bild vor Augen haben, wenn sie die Musik auf dieser CD hören.
 
MC: Und wann kam dann die Musik ins Spiel?
 
AS: Das hing zusammen mit etwas, das ich an der Uni lernte, als ich an einer der “arkadischen” Kantaten von Händel arbeitete. Mein Lehrer sagte mir: “Denk an die Umgebung, in der diese Stücke aufgeführt wurden – ein Garten außerhalb Roms, eine Gruppe von Komponisten Anfang zwanzig, die sich jedes Wochenende treffen, um sich gegenseitig zu beeindrucken und zu begeistern.” Die gehörten auch zu einer Geheimgesellschaft, sie war von der Königin Christina von Schweden gegründet worden; sie liebte Musik. Die Gesellschaft hieß Accademia Arcadia und umging das vatikanische Opernverbot, indem sie diese Musik, die ja quasi Opern war, im Geheimen schrieben und aufführten.
 
MC: Was bedeutete Arkadien denn für sie?
 
AS: Mehreres, genau wie ja auch das Bild von Poussin mehreres bedeutet. Zum einen eine wunderschöne Landschaft, wo Schäfer und Nymphen sich verlieben und das alles in Noten beschreiben – die reinste Kitschpostkarte! Doch dahinter lag noch eine viel größere Idee – es war ein ideales Land, ideal in sozialer und politischer Hinsicht, wo man sich nicht täglich ums Überleben mühen musste. Das hat auch etwas mit dem Garten Eden zu tun, als Gott eifersüchtig wurde wegen Adam und Eva und sie bestrafte, indem er sie aus dem Paradies vertrieb und sie zu einem Leben der Mühsal verdammte, in dem sie keine Zeit hatten nachzudenken. Arkadianer erlangen Weisheit, und so werden sie verwandelt.
 
MC: Wie in der “Zauberflöte”?
 
AS: Genau. Und wie bei Mozarts Oper war die Freimaurerei – die im 18. Jahrhundert eine hehre, idealistische Bewegung war – der Schlüssel. Auf jeden Fall dachte ich mir – warum nicht die Musik ansehen, die dazu gehört? Warum nicht die Manuskripte ausgraben und hören, wie sie klingt?
 
MC: Und? Wie klang sie?
 
AS: Spielerisch und impulsiv. Sie dreht sich um die Natur, um einfache Dinge. Es ist Musik für junge Leute; sicher war sie auch eine Reaktion auf die extrem formalisierte höfische Barockmusik der damaligen Zeit. Sie ist nicht maßlos anspruchsvoll – ein Gegenstück zu Abstraktion und Künstlichkeit. Sie ist frisch und charmant, “Easy-listening” im besten Sinne des Wortes.
 
MC: Welches Stück verdeutlicht das am besten?
 
AS: Eines der Stücke auf dieser CD, Gasparinis “Destati Lidia mia”, ist ein witziges, rustikales Lied, in dem die Geige den Hahnenschrei im Morgengrauen nachahmt. “Wach auf Lidia”, singt der Geliebte. “Die Vögel zwitschern schon von der Freude, die wir heute erleben werden.” Dann warnt er sie, dass sie später leiden müsste, wenn sie sich ihre hochfliegenderen Träume erfüllen würde – das Lied ist ironisch, praktisch, fordert einen dazu auf, sich das Glück zu bewahren. Es sagt: “Nehmt das Leben nicht so ernst, freut euch an dem, was da ist.”
 
MC: Das klingt nach den frühen Blumenkindern.
 
AS: Natürlich. Die Komponisten damals in Rom waren eine Gruppe barocker Hippies. Und sie gaben sich keinen Illusionen hin, dass diese Stücke besonders wichtig wären – sie wurden bei Anlässen aufgeführt, bei denen auch viel anderes vor sich ging. Es war Partymusik.
 
MC: Und welche Instrumente spielten wohl die Begleitung?
 
AS: Ein kleines Ensemble – Cembalo, Lauten, Kontrabass und Celli – leichte Kammermusik. Ich wurde mit dem Ensemble Accademia Bizantina zusammengebracht, und wir haben Sachen gemeinsam ausprobiert und stellten fest, dass wir uns gut verstehen. Dann haben wir ein paar Konzerte gegeben, um zu sehen, wie das Publikum reagiert – eins war in genau dem Raum in Venedig, in dem Händel und Scarlatti auftraten. Es war interessant zu sehen, wie unsere Ideen sich veränderten und weiterentwickelten, je länger wir miteinander arbeiteten.
 
MC: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
 
AS: Das Rezitativ in “Ecco che alfin ritorno”, eine wundervolle Kantate von Gasparini.
 
MC: Ein Rezitativ ist der Teil eines Werks, bei dem die Geschichte zwar gesungen wird, aber die gesprochene Sprache den Rhythmus vorgibt.
 
AS: Ja. Die Musik muss sich den Worten unterordnen. Und da habe ich gemerkt, dass ich viel mehr Möglichkeiten habe, die Noten zu dehnen und mit dem Rhythmus zu spielen, wenn der Bass absolut gleichmäßig ist. Dass ich dann die Freiheit habe, das Tempo zu bremsen oder vorwärts zu stürmen. Ich habe gemerkt, dass es besser rüberkommt, wenn ich den Text vortrage, als würde ich mit einem Mädchen reden, das im Publikum sitzt. Die geschriebene Partitur ist nicht die Musik – sie ist Musik in Pulverform. Man muss heißes Wasser dazugeben – und das heiße Wasser sind die Musiker -, dann wird eine köstliche Suppe daraus. Und so ist unsere Musik reifer geworden.
 
MC: Und keines der Stücke war je zuvor aufgenommen worden?
 
AS: So gut wie keins.
 
MC: Das heißt, es gab keine früheren Aufführungen, die Ihnen als Leitfaden dienen konnten.
 
AS: Nein, aber genau das mag ich. Natürlich bin ich sehr von meinem Gesangslehrer beeinflusst, von Jasper Kristiansen ?
 
MC: Aber im Grunde mussten Sie diese Kunstform aus den Nichts wieder neu erfinden, ohne Handbuch.
 
AS: Ich hoffe, die Leute werden sie als eine Musik von heute verstehen, als eine neue Kunst, die spontan entstanden ist, in der Jetztzeit. Zu viele Konzerte geben dem Publikum das Gefühl, als würden sie in einem Museum stehen und Exponate hinter Glas bestaunen.
 
MC: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie Italienisch singen?
 
AS: Mir ist sehr wohl dabei. Obwohl Italienisch die fünfte Sprache ist, die ich gelernt habe, nach Deutsch, Englisch, Niederländisch und Französisch – in der Reihenfolge.
 
MC: Und wie gelingt es Ihnen, auf Italienisch spontan zu sein?
 
AS: Zuerst muss man so tun als ob. Jemand muss einem erklären, was die Worte bedeuten. Dann schreibt man die Übersetzung Wort für Wort unter die Noten, damit man die Kraft jeder einzelnen Silbe versteht. Wenn man die Kraft spürt, spürt das Publikum sie auch. Aber man muss direkt zu den Zuhörern reden, kraftvoll, mit Leib und Seele.
 
MC: Ursprünglich wurden diese Kantaten wohl von Kastraten gesungen, was Sie ja nicht sind.
 
AS: Ja, Falsettisten oder Kontratenöre – und das bin ich – standen Anfang des 18. Jahrhunderts in Italien nicht hoch im Kurs.
 
MC: Wenn Gasparini und Co. in die Jetztzeit kommen und Sie hören könnten – was würden sie denken?
 
AS: Ich hoffe, sie würden denken, dass ich der Musik gerecht werde, dass ich weiß, wovon ich singe. Aber das ist eine gute Frage. Sie würden finden, dass ich die Musik nicht genügend verziere.
 
MC: Und wenn wir in deren Zeit zurückgehen könnten – was würden wir zu ihrem Gesang sagen?
 
AS: Wir würden sagen, dass er einfach wunder-wunderschön ist. Eine Jungenstimme, hinter der die Kraft eines ausgewachsenen Mannes steckt. Eine unglaubliche Klarheit!
 
MC: Abschließend: Wie passt diese Musik zu der Musik in Ihrem “anderen” Leben – als Sänger Ihres eigenen hausgemachten Soul-Funk?
 
AS: Na, ich arbeite seit Jahren an einer Platte, die immer noch nicht erschienen ist ?
 
MC: Gibt es überhaupt einen Zusammenhang zwischen diesen doch sehr unterschiedlichen Kunstformen?
 
AS: Sie meinen, wie ich mich als Darbieter sehe? Na ja, wichtig ist, sich auf den Kontext einzulassen. Popsongs sind dreiminütige Musikstücke, die man wunderbar beim Autofahren hören kann, aber sie können nie dasselbe bedeuten wie eine dreistündige Oper. Das ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Snack und einem fünfgängigen Menü.
 
MC: Man könnte diese Kantaten als lange Snacks bezeichnen ?
 
AS: Genau. Und sie sind auch Stimmexperimente. Experimente sind wichtig, damit die Kunst sich weiterentwickeln kann. Ich lasse meine Studenten ständig experimentieren – wie leise können sie singen, wie können sie die Luft einsetzen, um eine besondere Wirkung zu erzielen, und was passiert, wenn man das Mikrofon ganz dicht an die Lippen hält.
 
MC: Sind diese Kantaten gute Musik fürs Autofahren?
 
AS: Das hoffe ich! Zwölf Minuten, das sollte die Konzentration nicht überstrapazieren.

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