Anouar Brahems neues Album “Le Pas Du Chat Noir” wartet nicht nur mit einer ausgefallenen Instrumentierung auf, auch die Musik und ihre Entstehungsgeschichte sind außergewöhnlich.
Regelrecht ausgebrannt fühlte sich Anouar Brahem nach den intensiven Aufnahmesessions, die er 1997 mit John Surman und Dave Holland für das aufregende Album “Thimar” gemacht hatte. So sehr, daß er erstmals in seinem Leben sein Instrument – die Oud, eine arabische Laute – beiseite legte und erst drei Jahre später wieder ein Album mit ihm aufnahm. “Ich habe die Oud eine ganze Zeit lang nicht angerührt”, berichtet Brahem. “Aber es war wichtig, mit der Musik in Kontakt zu bleiben. Ich hörte nicht auf Musik zu hören oder zu schreiben. In meinem Atelier in Tunis habe ich ein Klavier, auf dem ich begann, neue Stücke zu komponieren.
”Das Komponieren am Klavier eröffnete Brahem völlig neue musikalische Perspektiven: “Der Klang der Oud hat eine ganz eigene Identität und einen spezifisch arabischen Charakter. Das Klavier gibt mir eine andere Klangfülle, die ich sehr mag. Ich bin kein sonderlich guter Pianist, aber ich kann das Instrument dazu benutzen, modale Musik zu schreiben. Nach und nach kam so einiges an Material zusammen – Themen und Melodien – und ich stellte bald fest, daß es einen gewissen roten Faden gab, der die einzelnen Ideen miteinander verband – obwohl ich eigentlich ohne Plan an dieser Musik gearbeitet hatte.”
Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis die Musik ihre heutige Gestalt annahm, in Pianist François Couturier und Akkordeonist Jean-Louis Matinier die beiden richtigen musikalischen Partner gefunden waren und schließlich auch die Oud ihren Platz in der Musik zurückerobert hatte. Obwohl Couturier und Matinier überaus erfahrene Musiker sind, war es für sie nicht leicht, die sehr klar formulierte, spartanische Musik, diese “stillen Songs” von “Le Pas Du Chat Noir” zu spielen: “Diese Musik erfordert äußerste Präzision. Es ist unabdingbar, alle Tempo-Vorgaben und Pianissimos zu respektieren. Außerdem erfordert die Interpretation Einfühlungsvermögen und das man so spielt, als würde man improvisieren. Man muß also hochkonzentriert sein. Bei der Elastizität der Tempi – mal zieht das Tempo an, mal wird es zurückgenommen – muß man höllisch aufpassen, um die innere Spannung aufrecht zu erhalten.”
Die musikalische Einordnung der Kompositionen fällt nicht leicht. Kenner entdeckten Parallelen zu Werken von Satie, Ravel, Debussy, Mompou und sogar zu Arvo Pärts “Spiegel im Spiegel” und “Für Alina”. “Ich kenne das europäische Klavier-Repertoire nicht gut genug, um bewußt solche Anspielungen zu machen”, gesteht Brahem. “Aber einige der Arbeiten Saties berührten mich tatsächlich sehr tief. Es war weder westliche noch östliche Musik, irgendwie nicht von dieser Welt. Diese Musik sprach mich wirklich an. Und nachdem ich ein paar Themen geschrieben hatte, dachte ich, daß es da vielleicht eine gewisse Parallelen gäbe…”
Eines weiß Brahem aber ganz genau: Daß diese Musik mit Sicherheit nichts in der Abteilung “Weltmusik” verloren hat. “Diese Bezeichnung ärgert mich immer mehr. Sie steht weder für eine Bewegung noch für eine bestimmte Ästhetik, sie ist nicht mehr als ein Marketing-Schildchen für Plattenläden der westlichen Welt und wirft Musiken in einen Topf, die nichts miteinander gemein haben. Es wäre dasselbe, wenn man in einem Plattenladen in Ägypten Pierre Boulez, Keith Jarrett und Britney Spears zusammen unter ’Weltmusik’ einsortieren würde.”