Wenn Sie eine Mandoline erblicken und in ihr eher ein Requisit aus einem Historienschinken erkennen als das Vehikel der Erfolgsgeschichte eines international gefeierten Klassikkünstlers, haben Sie vermutlich noch nicht die Bekanntschaft Avi Avitals gemacht. Der junge Mandolinist aus Israel wähnt sich von höherer Stelle berufen. “Gott hat mir die Mandoline in die Hände gelegt”, erklärt er. “Wie könnte man behaupten, er habe keinen Sinn für Humor?”, setzt er ironisch hinzu und spielt damit auf seinen unkonventionellen Werdegang als klassischer Musiker an. Avital fand zufällig zur Mandoline, nachdem ein befreundeter Nachbarsjunge ihm sein ausgemustertes Exemplar überlassen hatte. Und die beiden Knaben erlernten das Mandolinespiel bei einem höchst eigenwilligen Lehrer, der aufgrund mangelnder Nachfrage an seiner Geigenpädagogik kurzerhand einen Mandolinenkurs eröffnete.
Musiker mit weitem Horizont
“Alles, was er uns beibrachte – sogar wie man die Mandoline hält -, war von seinem Standpunkt als Geiger geprägt. Und bis zu meinem Schulabschluss spielte ich fast ausschließlich Geigenrepertoire, weil es nun einmal das war, was er kannte”, erinnert sich Avital. Doch der Mandolinist gelangte auf diesem Sonderweg zu bedeutsamen Einsichten. “Manchmal vergesse ich beinahe, dass ich eine Mandoline halte. Er hat mich gelehrt, was Musik ist. Das Instrument ist für mich nicht das Entscheidende.” Und doch entschloss sich Avi Avital, nach Italien, ins Heimatland der Mandoline, zu gehen, um die traditionelle Spielweise zu studieren. “Ein Jahr lang spielte ich ausschließlich Skalen, um mich mit der italienischen Tradition vertraut zu machen und die Wurzeln der Mandoline zu verinnerlichen. Doch ich erkannte auch, dass ich niemals ein traditioneller Spieler werden würde.”
Erster Mandolinespieler mit einer Grammy-Nominierung
Das klingt nach besten Voraussetzungen für einen, der die Kunst des Mandolinespiels zu neuen Höhen führen will. Zugleich möchte Avi Avital die Mandoline einem breiten Publikum zugänglich machen und ihr Repertoire beträchtlich erweitern. Auf dem Weg dahin hat er bereits eindrucksvolle Gipfel erklommen. So war er 2008 Preisträger des begehrten Echo Klassik in der Kategorie “Klassik ohne Grenzen” für die Aufnahme “Noema” mit dem David Orlowsky Trio. Und 2010 erhielt er neben Starpianistin Mitsuko Uchida eine Grammy-Nominierung in der Kategorie “Beste instrumentale Solodarbietung mit Orchester” für die Aufnahme eines von ihm bei dem Komponisten Avner Dorman in Auftrag gegebenen Mandolinenkonzerts. Erstmals in der Geschichte der Grammys wurde diese Ehre einem Mandolinespieler zuteil.
Bachtranskriptionen für das Deutsche Gammophon-Debüt
Für sein erstes Soloalbum als Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon hat Avi Avital Werke von Johann Sebastian Bach mit ursprünglicher Instrumentierung für Geige, Cembalo und Flöte transkribiert und gemeinsam mit der Kammerakademie Potsdam eingespielt. Er folgt damit einer verbreiteten Praxis, die zur Vergrößerung des Repertoires für ausgefallenere Instrumente gern auf Bachs Musik zurückgreift – aufgrund ihrer Offenheit in Bezug auf die instrumentale Besetzung. Diverse Einspielungen der “Kunst der Fuge” wurden beispielsweise von Solointerpreten am Klavier oder Cembalo ebenso wie von verschiedensten Streicher- oder Bläsergruppierungen auf modernen und Originalinstrumenten vorgelegt.
Avi Avital macht die Zeitlosigkeit Bachs erlebbar
“Die Absolutheit von Bachs Musik hat mir die Freiheit gegeben, diese Interpretationen für Mandoline herauszubringen. Seine Musik lässt sich nicht auf ein bestimmtes Instrument festlegen, sie geht darüber hinaus”, erläutert Avital im Gespräch. Wo sich der feine und zugleich durchdringende Klang seines Mandolinenspiels hervorragend für die differenzierte Ausarbeitung Bachs ineinander verwobener Linien und die schlüssige Gestaltung der terrassenförmigen dynamischen Verläufe eignet, steht ihr perkussiver und rasch verklingender Ton doch auch in deutlichem Gegensatz zur Geschmeidigkeit von Geige und Flöte. Beides nutzt Avi Avital zum Vorteil der Musik: Er gibt Bachs Musik ein ganz neues, übersprudelndes und federndes Gefühl. “Bachs Musik ist voller Geheimnisse”, erklärt der Mandolinist. “Egal, wie lange man sie schon spielt, immer gibt es etwas Neues zu entdecken. Wenn man ein anderes Instrument einsetzt, kann man die Zeitlosigkeit dieser Musik auf ganz neue Weise erleben.”