Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde sie im Orchester Cello spielen. Stattdessen verkaufte sie Gemüse und finanzierte sich so ihr Gesangsstudium. Glück für uns.
Sänger sind keine Wunderkinder. Schon allein deswegen, weil ihr Instrument erst nach der Pubertät so voll entwickelt ist, dass man wirklich mit ihm arbeiten kann. Barbara Bonney war da keine Ausnahme. Zwar sang sie schon mit drei Jahren die Glockenmelodie der heimischen Standuhr nach. Mit fünf erlernte sie das Klavierspiel, achtjährig das Cello. Aber dann ging sie erst einmal ganz normal aufs College, die University of New Hampshire (die ihr übrigens jüngst die Ehrendoktorwürde verlieh). Sie studierte Deutsch und Musik, aber nicht mit dem Ziel einer professionellen Gesangslaufbahn. Ihren Auslandsaufenthalt in Salzburg plante sie, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, nicht um Musik zu studieren. Das Cello war daheim in New Jersey geblieben, denn ein Transport über den Ozean wäre viel zu teuer gewesen. Das Probespiel für das berühmte Mozarteum-Orchester meisterte sie mit einem Lied, nicht streichend, sondern singend.
Die Juroren waren so begeistert, dass sie ihr ein Gesangsstudium empfahlen, das sie unter anderem durch Aushilfsjobs als Gemüseverkäuferin oder Köchin finanzierte. Mit Ausdauer, Zielstrebigkeit und Klugheit trieb sie ihre Entwicklung voran. Engagements in Darmstadt – wo sie über vierzig Partien lernte – und Frankfurt verschafften ihr Theaterpraxis und Bühnenerfahrung. 1984 der Durchbruch: ihr Münchener Debüt als Sophie im “Rosenkavalier” unter Carlos Kleiber. Ein grandioser Erfolg bei Publikum und Kritik, den sie ein Jahr später unter dem großen Sir Georg Solti an der Londoner Covent Garden Opera wiederholte. Und auch an der Wiener Staatsoper war dies 1987 ihre erste Rolle. Doch obwohl Bonney als die Sophie ihrer Generation hymnisch bejubelt wurde, ist ihre Gestaltung dieser Paraderolle bislang nur in einem Video-Mitschnitt zu bewundern gewesen. Nun muss auch der CD-Hörer nicht mehr ganz leer ausgehen. Auf ihrer neuesten Produktion ist zumindest die Übergabe der Rose aus dem zweiten Akt der Strauss-Oper (“Mir ist die Ehre widerfahren”) enthalten: siebeneinhalb Minuten höchster Operngenuss, für den neben Bonney als Sophie, auch Susan Graham als Octavian und die Wiener Philharmoniker unter Christoph Eschenbach bürgen.
Doch auch die weiteren 18 Tracks dieser mit 78 Minuten Spielzeit bis an den Rand gefüllten CD sind auf jeden Fall anhörenswert: Kaum eine Sängerin kann gegenwärtig mit einer solchen stilistischen Bandbreite und derartigem musikalischen Einfallsreichtum aufwarten wie Bonney. Zwischen englischem Barock und Musical, Bach und Sibelius ist ihr kaum etwas Musikalisches fremd. Dass Bonney zu den gesuchtesten Stimmen der historischen Aufführungspraxis zählt, belegt sie hier mit einem Lautenlied John Dowlands, Didos Klage aus Purcells “Dido und Aeneas” sowie einem Satz der Bachschen Kaffeekantate. Für Pergolesis “Stabat Mater” tut sie sich mit dem fabelhaften Countertenor Andreas Scholl zusammen. Mozart huldigt sie mit der Arie der Susanna “Deh vieni non tardar” (aus dem “Figaro”) und dem “Ach ich fühl’s” der Pamina aus der “Zauberflöte” (nicht umsonst hat Bonney in Salzburg studiert).
Immer wieder macht sich Bonney auf Entdeckungsreise ins unbekannte Repertoire. Als ein Souvenir dieser Reiselust finden sich auf dieser CD eine Vokalise von André Previn und zwei Lieder des Finnen Jean Sibelius, aufgenommen für “Diamonds in the Snow”, eine preisgekrönte Sammlung skandinavischer Liedkunst. Die unstillbare musikalische Neugier teilt sie dann doch mit den Wunderkindern.