Kaum eine Sängerin ist mit so viel Lob bedacht worden wie Birgit Nilsson. Wer sie je auf der Bühne erlebt hat, der kam aus dem Schwärmen nicht mehr raus. “Ich glaube nicht”, so der renommierte Schriftsteller und Opernkenner Joseph Wechsberg im Jahre 1960, “dass es je eine Sängerin ihresgleichen gegeben hat.” Ihre enorme Stimmkraft, ihre schauspielerische Präsenz und ihre menschliche Offenherzigkeit galten als unwiderstehlich. “La Nilsson”, wie sie ebenso ehrfürchtig wie liebevoll genannt wurde, zog eine ganze Generation von Opernliebhabern in ihren Bann.
Aus einfachen Verhältnissen: Birgit Nilsson (1918–2005)
Selbst Fachleute, die nicht zu überschwänglichen Urteilen neigten, setzten der Nilsson ein Denkmal. Für Lord Harewood war sie “das große vokale Phänomen nach dem Kriege”, und der legendäre britische Musik- und Stimmexperte John Steane erlebt in ihrer mit Georg Solti aufgenommenen Salome “jenseitige Klänge”, ein “Wunder reines Singens”. Wer war diese faszinierende Frau, die sich in die Herzen eines Weltpublikums singen sollte?
Ihre Herkunft sprach nicht für eine glamouröse Laufbahn. Zwar träumte die Nilsson schon im Kindesalter davon, eine große Sängerin zu werden. “Aber ich wusste natürlich als Landkind nicht im Geringsten, was das überhaupt war, eine Opernsängerin”, so Nilsson in einem bewegenden Gespräch mit Dieter David Scholz. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im beschaulichen Süden Schwedens, ist ihre Kindheit von den natürlichen Härten des landwirtschaftlichen Alltags beherrscht.
Ecken und Kanten: Bewundernswerter Eigensinn
Was sie auf dem Hof ihrer Eltern lernt und ein Leben beherzigen wird, ist, dass jeglichem Erfolg, jeglicher Ernte eine mühselige Arbeit vorangeht. Nichts ist umsonst. Alles will angeeignet werden. Aber wenn man das Ziel erreicht hat, dann darf man mit Recht stolz auf seine Leistung sein. Birgit Nilsson wird sich im internationalen Operngeschäft zu behaupten wissen. Ihre hohen Gagen sind berüchtigt. Sie weiß um ihren sängerischen Wert und pflegt ein unverkrampftes Verhältnis zum Geld.
Gegenüber Stars der Branche behält sie sich eine bewundernswerte Autonomie bei. Als Karajan, mit dem sie nie richtig warm wird, einmal von ihr verlangt, dass sie eine bestimmte Passage mit mehr Herz singen solle, und beiläufig anmerkt: “Das Herz sitzt da, wo Sie Ihre Geldbörse haben”, da antwortet die Nilsson: “Dann haben wir ja doch wenigstens etwas gemeinsam, Maestro!” Birgit Nilsson hat Selbstbewusstsein, äußert sich stets direkt, bis hin zu einer gewissen Schroffheit, die sie aber mit viel Witz und Charme abzufedern weiß.
Glänzende Aufnahmen: Noble Edition zu Nilssons Hundertstem
Hinter ihrer robusten Persönlichkeit verbirgt sich jedoch ein überaus verletzlicher Mensch, der seine Verwundbarkeit leise anzudeuten versteht. Diese Kombination aus Eigenschaften prädestiniert sie besonders für dramatische Wagner-Rollen. Eine Figur wie die der Brünnhilde, die zwischen kämpferischen und diskret hervorscheinenden, zärtlicheren Gefühlsregungen schwankt, ist ihr wie auf den Leib geschneidert.
Nilsson macht denn auch als fulminante Wagner-Sängerin Karriere. Ihre gewaltige Stimmkraft, ihre einzigartige Gesangsbegabung erweisen sich als Glücksfall der Geschichte, der das Wunder Nilsson perfekt macht. Dass dieses Wunder sich auch auf andere Komponisten, etwa Verdi oder Puccini, erstreckt, beweist die gerade zu ihrem 100. Geburtstag am 17. Mai 2018 erschienene, limitierte Jubiläumsausgabe ihrer glänzenden Aufnahmen.