Der Sieg beim 18. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb im Oktober 2021 machte Bruce Liu über Nacht berühmt. Die Wettbewerbsmitschnitte, die schon im Monat darauf bei Deutsche Grammophon erschienen, begeisterten die Kritik. In diesem Frühling dann wurde der kanadisch-chinesische Pianist Exklusivkünstler des Labels. Eine Reihe von Singles mit Werken von Rameau und Chopin erschien, im April 2023 folgte seine Interpretation der Französischen Suite Nr. 5 von J. S. Bach – »fein empfunden und superb gespielt«, so ClassicalMusic.com. Über 25 Millionen Streams verzeichneten die Plattformen.
Nun legt Liu sein Studiodebüt vor. Es umspannt zwei Jahrhunderte französischer Klaviermusik und bringt darin auch Werke zu Gehör, die bislang nicht im DG-Katalog zu finden waren. Waves: Music by Rameau · Ravel · Alkan, mit einem Essay des Gramophone-Redakteurs James Jolly, erscheint auf CD und auf Vinyl (2 LPs) sowie als signierte Deluxe-Edition in limitierter Auflage.
Nach seinem Triumph in Warschau haben atemberaubende, charismatische Liveauftritte Lius Ruf bestätigt. Doch die Arbeit im Aufnahmestudio entpuppte sich als ganz eigene Herausforderung. »Erst im Studio kannst du das Puzzle so zusammenfügen, wie du es dir vorstellst«, sagt Liu. »Das in sich gleicht einem Kunstwerk, alles kommt zusammen.«
Der Pianist kam in Paris zur Welt, auch deshalb hat er sich auf drei französische Komponisten konzentriert, und zwar eben solche, die die Entwicklung der Klaviermusik zwischen dem 18. und dem frühen 20. Jahrhundert beeinflusst haben. Sein Ansatz ist musikhistorisch. Aus dem umfangreichen Werk von Jean-Philippe Rameau (1683–1764) spielt er Auszüge aus den Pièces de clavessin und den Nouvelles suites de pièces de clavecin – darunter programmatische Werke wie La poule und Les sauvages – sowie Tanzsätze. Rameaus Komponieren liegt vor der Erfindung des Klaviers, und Liu hat sich deshalb intensiv von Cembalisten schulen lassen, um seine Interpretationen zu verfeinern.
Charles-Valentin Alkan (1813–88) war schon zu Lebzeiten eine Legende am Klavier und schrieb fast ausschließlich für sein eigenes Instrument. Liu entdeckte als Student diese Musik, die so schwierig ist, dass sie den Zeitgenossen als unspielbar galt. Er nahm sich vor, sie bekannt zu machen. Sowohl das überschwängliche Le festin d’Ésope als auch die ruhige Barcarolle sind neu im DG-Katalog.
Aus dem 20. Jahrhundert hat Liu Miroirs von Maurice Ravel (1875–1937) ausgewählt. Einige der fünf Sätze des Zyklus spiegeln das Naturthema wider, das sich leitmotivisch durch das Album zieht. Sein Titel – Waves – bringt es auf den Punkt und greift auf, worum es in Alkans Barcarolle und Ravels »Une barque sur l’océan« geht. Zugleich verweist er auf Lius spontanen Stil: »Das Meer ist nie gleich«, sagt er. »Und meine Herangehensweise an die Musik, die ich spiele, ist nie festgelegt.«
Solch Musizieren kann das Publikum in Lius kommenden Auftritten erleben. Miroirs und die Musik Rameaus stehen in der nächsten Saison auf dem Konzertplan dieses aufregenden Pianisten.