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Geheimnisvolle Mission

Cecilia Bartoli
© Uli Weber
17.09.2012
Das hat es noch nicht gegeben: Eine weltweit gefeierte Opernsängerin entdeckt die Musik eines in Vergessenheit geratenen Komponisten und inspiriert damit eine Bestsellerautorin zu ihrem neuen Roman.

Text: Decca | Foto: Uli Weber

Cecilia Bartoli ist nicht nur eine begnadete und weltweit gefeierte Sängerin, sondern auch mit einem untrüglichen Gespür für fesselnde Geschichten gesegnet. Die Konzeptalben der römischen Mezzosporanistin bieten Musikgenuss auf höchstem Niveau und werfen zugleich Schlaglichter auf herausragende Figuren des Musikgeschichte (“Salieri”, “Maria”) und faszinierende Phänomene der Aufführungsgeschichte. Für “Opera proibita” etwa nahm sie eine Sammlung von Werken auf, deren Aufführung aufgrund päpstlicher Zensur zu Beginn des 18. Jahrhunderts in ihrer Heimatstadt Rom verboten war, und ihr letztes Album “Sacrificium” öffnete ein ebenso faszinierendes wie dunkles Kapitel der Operngeschichte, die Ära der Kastratenarien.

In Vergessenheit geraten

Während der Recherchen zu “Sacrificium” stieß Cecilia Bartoli auf einen geheimnisumwitterten Komponisten, der möglicherweise ein Kastrat gewesen sein soll: Agostino Steffani. Je eingehender sich die Operndiva mit dieser erstaunlich vielschichtigen Figur beschäftigte, desto substanzieller wurde der Stoff für ein ganz eigenes, ihm gewidmetes Albumprojekt. Agostino Steffani (1654 – 1728) galt zu seinen Lebzeiten als einer der bedeutendsten Komponisten von Opern und Kammerduetten zwischen Monteverdi und Verdi. Seit seinem Tod werden die Manuskripte seiner Werke in bedeutenden Bibliotheken wie der Royal Library des Buckingham Palace oder der Biblioteca Marciana in Venedig wie Schätze gehütet. Doch seine Musik geriet weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit.

Mann mit vielen Missionen

Als Italiener, der die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland lebte und wirkte, wurde Steffanis Werk von den Musikwissenschaftlern beider Länder größtenteils übersehen. Seine Musik fiel durch das Raster der Geschichtsschreibung. Ein weiterer Grund für das Vergessen: Steffani folgte im Verlauf seines Lebens zunehmend vielfältigen außermusikalischen Ambitionen. Zeitweise widmete er sich fast ausschließlich politischen Ämtern, als deren Träger es ihm unmöglich war, weiterhin musikalische Bühnendramen zu schreiben. Viele Werke konnte er nur noch incognito komponieren. Zudem betätigte sich Agostino Steffani als hochrangiger Kirchenvertreter, vielgereister Diplomat, Sprachwissenschaftler, Kuppler in Adelskreisen und vermutlich auch als Spion. Als Gesandter des Papstes versuchte er Norddeutschland für die katholische Kirche zurückzugewinnen. Doch seine Mission scheiterte.

Weltneuheit: Aufnahme und Buch

Cecilia Bartoli erweckt auf ihrem am 21. September erscheinenden neuen Album “Mission” eine der schillerendsten Figuren der Musikgeschichte zum Leben. Als Sensation darf man bezeichnen, welche Auswirkung ihr Engagement für das Werk Agostino Steffanis auf die zeitgenössische Romanliteratur gehabt hat. Keine Geringere als Schriftstellerin Donna Leon, langjährige Bartoli-Freundin und Opernliebhaberin, ließ sich von Cecilia Bartolis Begeisterung für die außergewöhnliche und widersprüchliche historische Figur anstecken und zu ihrem neuen Roman “Himmlische Juwelen” inspirieren (Diogenes Verlag, ab 25. September erhältlich).

Wir präsentieren Ihnen die Begleitworte der Bestsellerautorin Donna Leon zum neuen Album von Cecilia Bartoli:

Von Schönheit überwältigt

Schon lange sind Cecilia Bartoli und Donna Leon miteinander befreundet. Eines Tages stieß die Mezzosopranistin auf die Spur des italienischen Barockkomponisten Agostino Steffani und erzählte der musikbegeisterten Schriftstellerin von ihrer Entdeckung. Donna Leons Neugier war geweckt und wurde immer größer, je mehr sie von seinem Leben erfuhr, einem Leben voller Widersprüche zwischen Kirche, Musik und Geheimdiplomatie. Eigentlich ein guter Stoff für einen spannenden Roman …


Zweimal in meinem Leben hat mir ein Genie am Wegesrand aufgelauert und mich überwältigt. Das erste war Patrick O’Brian, Autor von zwanzig Seefahrerromanen um Captain Aubrey, der es in der Flotte Lord Nelsons mit den verruchten Franzosen aufnahm; das zweite Agostino Steffani, Priester, Diplomat und Komponist.
Bis vor etwa zwanzig Jahren im New Yorker ein Artikel über O’Brian erschien, war er – um mich der Sprache des Spionageromans zu bedienen – ein Schläfer: Kenner lobten ihn in den höchsten Tönen, es gab eine kleine Kultgemeinde, stets wurde er als einer der besten lebenden Autoren von historischen Romanen genannt, aber eine Berühmtheit war er nicht.
Agostino Steffani, der im 18. Jahrhundert Opern und Duette, Orchester- und Kirchenmusik komponierte, ist ebenfalls ein Schläfer. Immer wieder findet sein Name in Artikeln über Barockmusik Erwähnung und im Zusammenhang mit Komponisten, für deren Schaffen er von Bedeutung war. Erwähnt wird auch sein jahrzehntelanges Bemühen – im Auftrag des Vatikan – um die Rückführung Norddeutschlands in den Schoß der katholischen Kirche. Es gibt vereinzelte Aufnahmen seiner Werke, und immer mal wieder wurde eine Oper aufgeführt, aber eine Berühmtheit war er so wenig wie O’Brian. Bis er Cecilia Bartolis Aufmerksamkeit erregte. Auch sie stieß hin und wieder auf Steffanis Namen und hörte Musik von ihm, was ihre Neugier weckte und ihre Entdeckerfreude. Wie vor Howard Carter beim Fund der Grabkammer Tutanchamuns taten sich auch vor Cecilia ›wunderbare Dinge‹ auf.
Enthusiasmus ist ebenso ansteckend wie beflügelnd. Während Cecilia die Arien und Kammerduette für Mission auswählte, erzählte sie mir von Steffani und meinte, eine Krimiautorin müsste eigentlich fasziniert sein von den vielen Fragen, die sein Leben aufwerfe. Obwohl er Italiener war, verbrachte er fast sein ganzes Leben in Deutschland. Während Europa noch von der Reformation erschüttert wurde, versuchte Steffani, Norddeutschland für die katholische Kirche zurückzugewinnen, und scheiterte. Er war ein Kirchenmann, ein allem Anschein nach ernster, nüchterner Mensch, und geriet in den größten Sexskandal seiner Zeit – weil die Liebenden seine Opernverse als Geheimcode benutzten. Steffani, Priester und Bischof dem Namen nach, könnte möglicherweise ein Kastrat gewesen sein. Er stand auf vertrautem Fuß mit Königen, Herzögen und Prinzen, aber niemand scheint ihm wirklich nahegestanden zu haben.
Je mehr Belege für die Unstimmigkeiten in seinem Leben Cecilia mir schickte, desto größer wurde mein Interesse, eine Erklärung zu finden, die das alles auf einen Nenner brachte. Und dann erwähnte sie die zwei Truhen aus Steffanis Besitz, die nach seinem Tod in den Vatikan gerieten und erst unlängst wiederentdeckt wurden.
Ein reizvolles Puzzle! Und wie beiläufig bemerkte Cecilia, die verwickelte Geschichte könnte ohne weiteres als Vorlage für eine Art Roman dienen. »Eine Art Roman.« – »Eine Art Roman?« Warum eigentlich nicht?
Und da geschah es, dass Caterina Pellegrini, eine italienische Musik­wissenschaftlerin, die Steffanis Papiere untersuchen sollte, auf dem Weg zur Marciana-Bibliothek in meinem Arbeitszimmer vorbeischaute. Ich ging hinter ihr her, um ihr über die Schulter zu sehen: Was würde sie in den Archiven entdecken? In einer der großartigsten Bibliotheken der Welt? Gab es dort Antworten auf die vielen Rätsel in Steffanis Leben? Voller Tatendrang machte sie sich auf den Weg und fand schließlich: Himmlische Juwelen.

> Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz <

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