Ein Phänomen wie das Schlafwandeln war genau das Richtige für die Romantiker. Schließlich handelt es sich dabei um eine Art Zwischenstadium zwischen Traum und Wirklichkeit, mit allen Implikaturen des Unbewussten, die die an der Aufklärung leidende Epoche gerne beschwor. Als Vincenzo Bellini sich um 1830 an die Ausarbeitung des Stoffes für eine neue Oper machte, traf er daher perfekt den Geschmack seiner Zeit und schuf darüber hinaus ein Meisterwerk des Belcantos, das im übrigen so romantisierend gar nicht war. Jedenfalls gehört “La Sonnambula” seitdem zu den Höhepunkten der Opernkunst und reizt durch seine eleganten und emotionalen Melodien die Spitzenkünstler ihrer Zeit, sich mit der rätselhaften Amina und deren Verstrickungen zu beschäftigen. Neuestes Beispiel einer solchen Zusammenarbeit ist die Interpretation, die nun mit Cecilia Bartoli und Juan Diego Flórez zwei der bedeutendsten Persönlichkeiten ihres Fachs zusammentreffen lässt.
Männerphantasien! Man muss sich das Pikante des Plots mal auf der Zunge zergehen lassen: Da erscheint ein bildhübsches junges Mädchen am Vorabend ihrer Hochzeit, sexuell also für die ganze Männerwelt außer ihres Verlobten quasi unerreichbar, im Nachthemd willenlos, weil schlafwandelnd, im Schlafzimmer eines fremden Galans, der nun wiederum sich eigentlich auf sie stürzen könnte und damit ein rechtes Drama à la Gretchen entfesseln würde. Da dieser aber einigermaßen seine fünf Sinne beisammen hat und noch dazu eine eher ungeschickte Intrigantin die Situation überspitzt, kommt es schlussendlich doch noch zu einem Happy End, bei dem Amina (wir denken an C.G.Jung!) ihren aufrechten, wenn auch im Kern ein wenig einfältigen Elvino bekommt. Da muss es das romantisch bürgerliche Publikum ja gerade zu gejuckt haben, zumal schon bei den ersten Aufführungen zwei der brillantesten Mezzosopranistinnen ihrer Ära die Titelrolle gespielt haben. Die eine war Giuditta Pasta, für die Vincenzo Belli die Rolle der Schlafwandlerin ursprünglich konzipiert hatte und die anderen Maria Malibran, der Shooting Star der Belcanto-Bühne, den der Komponist anno 1833 in Neapel als Amina erleben konnte – und fortan begeistert war.
Über Maria Malibran wiederum schließt sich auch der Kreis zu ihrer römischen Nachfahrin Cecilia Bartoli. Denn diese hatte sich während der vergangenen Jahre eingehend mit dem Wirken der romantischen Diva beschäftigt und ihr 2007 eine umfangreiche Hommage mit dem schlichten Titel “Maria” gewidmet. Bartoli nun forschte weiter und macht sich für eine Neuaufnahme der “Sonnambula” stark, unter möglichst umfassender Berücksichtigung der neuesten Partiturekenntnisse und der historischen Aufführungspraxis. Zum ersten Mal also erscheint die Oper nun in der historischen niedrigeren Stimmung von 430 Hertz, gespielt mit Originalinstrumenten vom Orchestra La Scintilla unter der Leitung von Alessandro De Marchi.
Vor allem aber brauchte Cecilia Bartoli starke männliche Partner, die den musikalischen und theatralischen Anforderungen der Rollen an ihrer Seite gerecht werden konnten. Auch da hatte sie Glück und fand zwei Gegenüber, die derzeit zum Besten gehören, was die Opernszene zu bieten hat. Die Partie des reichen Bauern und Aminas künftigen Ehemannes Elvino singt kein Geringerer als der peruanische Startenor Juan Diego Flórez, der damit zum ersten Mal überhaupt gemeinsam mit Cecilia Bartoli vor den Mikrofonen zu erleben ist. Die Rolle des ehrenwerten Grundherrn Rodolfo wiederum hat Ildebrando D’Arcangelo übernommen, auch er eine der herausragenden Sängerpersönlichkeiten seiner Generation. Da ist schnell klar, dass diese “Sonnambula” mehr ist als eine gute Neuaufnahme einer bekannten Oper. Er ist schlicht die bestmögliche Interpretation dieses Meisterwerkes, die in unseren Tagen verwirklicht werden kann.
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