Der sechzigste Geburtstag von
Christian Thielemann bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit für eine Zwischenbilanz. Der “begabteste deutsche Dirigent”, wie ihn die Financial Times einmal bezeichnet hat, kann auf eine beeindruckende Diskographie verweisen. Beseelt von gefühlsstarken Komponisten wie
Johannes Brahms oder
Richard Wagner,
Anton Bruckner oder
Richard Strauss, sind ihm ungewöhnlich viele Referenzaufnahmen romantischer und spätromantischer Orchesterwerke gelungen.
Thielemann, der heute als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden, als Künstlerischer Direktor der Salzburger Osterfestspiele und als Musikdirektor der Bayreuther Festspiele zu einem der wichtigsten Repräsentanten deutsch-österreichischer Kultur zählt, hat die Lust am ungefilterten Ausdruck wuchtiger Orchestermusik neu entfacht. Davon zeugt die jetzt erschienene Special Limited Edition, die Deutsche Grammophon dem Jubilar zu seinem 60. Geburtstag widmet, eindrucksvoll.
Der Begabteste seiner Generation: Imponierende Entwicklung
Die Edition umfasst 21 CDs. Das Repertoire reicht von bewegenden Chorwerken wie Mozarts Requiem oder Carl Orffs “Carmina Burana” über pulsierende Sinfonien von Ludwig van Beethoven oder Johannes Brahms, prachtvolle Ouvertüren von Carl Maria von Weber, Richard Wagner oder Hans Pfitzner bis hin zu subtilen sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss und Arnold Schönberg. Dabei offenbart die Ausgabe einen imponierenden Entwicklungsgang des Dirigenten.
Thielemann findet im Laufe der Jahre zu einer immer eleganteren Balance zwischen dem entfesselten Ausdruck starker Empfindungen und ihrer spannungsvollen Aufsparung. Als Paradebeispiel hierfür kann seine unübertroffene Interpretation der Alpensinfonie von Richard Strauss mit den Wiener Philharmonikern gelten. Thielemann, der bei der Arbeit an monumentalen Wagner-Opern gelernt hat, mit seinen Kräften zu haushalten, zögert die Spannung geschickt hinaus, bis sie sich am Ende fulminant entlädt.
Dramatisches Gespür: Die Kunst langer Spannungsbögen
Diese Kunst langer Spannungsbögen bewährt sich nicht nur bei sinfonischen Dichtungen, sondern auch bei lyrisch fließenden Ouvertüren und in komplex angelegten Sinfonien von Beethoven oder Schumann, Brahms oder Bruckner. Soghafte Wirkung entfaltet das getragene Vorspiel zum ersten Akt von Wagners romantischer Oper “Lohengrin”. Thielemann ist hier mit dem Philadelphia Orchestra eine wegweisende Interpretation gelungen.
Mit viel Geduld und Ruhe widmet sich Thielemann Bruckners Sinfonie Nr. 5 in B-Dur. Seine umsichtige Einspielung mit den Münchner Philharmonikern ist bewundernswert. Vorläufiger Gipfelpunkt seiner Kunst sind die vier Sinfonien von Johannes Brahms in der bebenden Einspielung mit der Staatskapelle Dresden. Christian Thielemann versteht den dunklen, weichen Klang des Traditionsorchesters zu nutzen wie kaum jemand sonst.
Ein enormer Vorteil, der sich nicht nur bei den Sinfonien, sondern auch bei den beiden Klavierkonzerten und dem Violinkonzert von Johannes Brahms durchgängig bezahlt macht. Thielemann bereitet seinen Solisten einen goldenen Klangteppich, auf dem die junge Stargeigerin
Lisa Batiashvili und der Grandseigneur der Klavierkunst
Maurizio Pollini jeweils den ganzen Reichtum ihrer Interpretationskunst ausbreiten können.
Das Handwerk des Dirigenten: Thielemann hautnah
Worin besteht aber das Geheimnis von Thielemanns außergewöhnlicher Dirigierkunst? Dem kommt man mit dem attraktiven Booklet der noblen Edition auf die Spur. Es bietet neben neuen Fotografien des Künstlers eine persönliche Einführung von ihm und ein aufschlussreiches Interview, das
Dr. Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon, mit dem Dirigenten geführt hat. Wer sich noch eindringlicher mit Thielemanns Kunst des Dirigierens befassen möchte, der sei schließlich auf einen aufwendig produzierten Bildband verwiesen, der zeitgleich mit der physischen Edition und den zum Streaming und Download bereitgestellten “
Thielemann Essentials” in den Handel kommt.
Christian Thielemann hat gemeinsam mit Clemens Trautmann und dem preisgekrönten österreichischen Fotografen Lois Lammerhuber zehn Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet. Entstanden ist ein Buch, das neben Thielemanns tiefsinnigen Reflexionen über das Musizieren Hunderte von aussagekräftigen Fotos des Dirigenten bei der Probe zeigt. Thielemann hat auf jegliche Pose verzichtet. Eine hautnahe und bestechend ehrliche Dokumentation seiner Dirigierkunst ist das Ergebnis.
Veranstaltungshinweis
Am 19. März 2019 kommt Christian Thielemann nach Berlin, um die Jubiläumsedition der Deutschen Grammophon und den Bildband der Edition Lammerhuber im KulturKaufhaus Dussmann persönlich vorzustellen. Das Programm beinhaltet eine Signierstunde mit dem Dirigenten. Veranstaltungsbeginn ist 19:00 Uhr.