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Biografie

Daniel Barenboim
© DG
»Musik lehrt uns nicht nur über das Leben, sondern auch, wie sich Leidenschaft und Disziplin miteinander vereinbaren lassen.« Daniel Barenboim
Klassische Musik vermag Trennungen zu überwinden und Widerstand gegen Ignoranz zu leisten – eine Kraft, die Daniel Barenboim seit seiner frühen Kindheit verspürt. Der Pianist und Dirigent, einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, hat sich mit seinen Auftritten an den führenden Häusern der ganzen Welt höchstes Ansehen erworben. Mit dem Anliegen, durch Kultur geistige Barrieren abzubauen, erreicht er zahlreiche Menschen, ebenso wie mit seinem Engagement für intensives Zuhören und freien Dialog – zwei Dinge, die wechselseitig voneinander abhängen. »Um Musik zu machen, muss man zuhören«, sagte er. »Man muss hören, was der andere tut, aber man muss auch hören, was man selbst tut und was es für den anderen bedeutet – dies ist die beste Schule für menschliche Beziehungen.«
Zuhören und reagieren als zentrale Fähigkeiten sind bereits in den ersten Aufnahmen zu erkennen, die Barenboim 1955 als Pianist machte. Seine Diskografie als Pianist und Dirigent umfasst ein breites Repertoire von sämtlichen Klaviersonaten, Konzerten und Symphonien Beethovens bis zu Werken von Boulez und Carter. 1972 schloss er seinen ersten Vertrag mit Deutsche Grammophon, aus dem Maßstäbe setzende Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau, Christa Ludwig, Pinchas Zukerman, Itzhak Perlman und Jessye Norman sowie eine ganze Reihe von Alben mit Soloklavierwerken und Orchestermusik hervorgingen. 2010 setzte er seine Beziehung zum Gelblabel durch einen langfristigen Vertrag mit Decca/Deutsche Grammophon fort, und im März 2018 unterzeichnete er einen neuen und exklusiven Vertrag mit DG. 
Daniel Barenboim wurde am 15. November 1942 in Buenos Aires geboren. Beide Eltern, Kinder russisch-jüdischer Auswanderer nach Argentinien, waren Musiker und begabte Pädagogen. Daniel studierte Klavier bei seinem Vater, der sein einziger Lehrer blieb. Mit sieben Jahren gab er sein erstes öffentliches Recital, und seine Liebe zur Musik erhielt neue Impulse, als die Familie auf dem Weg zu einem neuen Leben in Israel 1952 nach Europa kam. In Salzburg begann er bei Igor Markevitch ein Dirigentenstudium, und er begegnete auch Wilhelm Furtwängler, der erklärte, der Elfjährige sei »ein Phänomen«. Er erhielt dann ein Stipendium, um 1955–56 Harmonielehre und Kontrapunkt bei Nadia Boulanger in Paris zu studieren. Ein sensationelles Recital-Debüt in der Wigmore Hall in London sowie Konzert-Debüts in Paris (1955) und mit den New Yorker Philharmonikern und Leopold Stokowski in New York (1957) bestätigten den Rang des Teenagers als musikalisches Ausnahmetalent.
In den 1960er-Jahren perfektionierte Barenboim seine Fähigkeiten als Dirigent, während er gleichzeitig seinen internationalen Ruf als Solopianist und Kammermusiker festigte. Als Dirigent arbeitete er viel mit dem English Chamber Orchestra, und als er 1967 in London kurzfristig für einen erkrankten Kollegen am Pult des Philharmonia Orchestra einsprang, erregte er europaweit Aufmerksamkeit. Im selben Jahr nahm er Beethovens Klavierkonzerte mit Otto Klemperer und dem New Philharmonia Orchestra auf und spielte sämtliche Klaviersonaten des Komponisten bei Recitals in London, Tel Aviv und Wien.
Barenboims künstlerische Entwicklung wurde stark geprägt durch die Zusammenarbeit mit seiner Frau, der jung verstorbenen Cellistin Jacqueline Du Pré, den Geigern Itzhak Perlman und Pinchas Zukerman sowie der Mezzosopranistin Dame Janet Baker und dem Bariton Dietrich Fischer-Dieskau. Zudem profitierte er dauerhaft davon, Sir John Barbirollis Arbeit mit dem Hallé Orchestra beobachten zu können. »Im Hinblick auf den Orchesterklang lernte ich das meiste von Barbirolli«, berichtet er.
1968 dirigierte er das London Symphony Orchestra in New York. Als Gastdirigent stellte er enge Beziehungen zu den Berliner Philharmonikern, dem London Philharmonic Orchestra und dem Chicago Symphony Orchestra her. Seine Nähe zur Oper offenbarte sich mit einer Mozart-Reihe beim Edinburgh International Festival, die 1973 mit Don Giovanni begann. 1975 wurde er Musikdirektor des Orchestre de Paris, er behielt das Amt bis 1989 und setzte sich während dieser Zeit besonders für zeitgenössische Musik von Komponisten wie Berio, Boulez, Dutilleux, Henze, Lutosławski und Takemitsu ein. 1978 begann Barenboim seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper Berlin und drei Jahre später trat er in einer Neuinszenierung von Tristan und Isolde erstmals bei den Bayreuther Festspielen auf. 18 Jahre hindurch kehrte er dann jeden Sommer nach Bayreuth zurück, wo er Parsifal, Harry Kupfers gefeierte Neuinszenierung des Rings, Die Meistersinger von Nürnberg und Heiner Müllers innovative neue Produktion von Tristan und Isolde dirigierte.
1991 wurde Barenboim Nachfolger von Georg Solti als Musikdirektor des Chicago Symphony Orchestra, das ihm dann 2006 den Titel »Ehrendirigent auf Lebenszeit« verlieh. Von 1992 bis Anfang 2023 war er Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, und von 2000 an »Chefdirigent auf Lebenszeit« der Staatskapelle Berlin. Mittlerweile wurde er sowohl zum Ehrenmitglied der Staatsoper als auch zum Ehrenchefdirigenten der Staatskapelle ernannt. Er ist ebenfalls Ehrendirigent der Berliner Philharmoniker.
Barenboim tritt regelmäßig mit den Wiener Philharmonikern auf, deren Neujahrskonzert er 2009, 2014 und 2022 leitete. Ab 2007 dirigierte er als Erster Gastdirigent an der Mailänder Scala viele erfolgreiche Opernproduktionen, darunter Guy Cassiers Neuinszenierung des Rings, er gab der Kammermusik-Reihe des Hauses neue Impulse und leitete das Orchestra Filarmonica della Scala zu Hause und auf Tournee. 2011 bis 2014 war er Musikdirektor des Hauses.
Daniel Barenboims Leben nahm eine neue Wendung durch die Begegnung mit Edward Said, einem palästinensisch-amerikanischen Literaturkritiker und bekannten Intellektuellen. Er teilte viele Ansichten Saids über die Zukunft des Nahen Ostens und unterstützte seinen Aufruf zu einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern, die auf Dialog, Respekt und gegenseitigem Verständnis basieren sollte. Sie wurden enge Freunde und gründeten 1999 das West-Eastern Divan Orchestra, ein Ensemble von jungen Musikern aus dem Nahen Osten, unter anderem mit Israelis, Palästinensern, Ägyptern, Syrern und Jordaniern. »Die Schicksale dieser Menschen sind untrennbar miteinander verbunden«, stellte Barenboim damals fest, »also entweder töten wir einander oder wir lernen, miteinander zu leben.«
Das West-Eastern Divan Orchestra feierte 2024 seinen 25. Geburtstag, es ist zu einem Symbol der Hoffnung und einem Ort des Dialogs geworden. 2017 erhielt es ein dauerhaftes Domizil, als der Pierre Boulez Saal eröffnet wurde, als Zentrum für Bildung durch Musik, der im Gebäude der Barenboim-Said Akademie untergebracht ist. Die Akademie, die ihren Lehrbetrieb im Oktober 2016 aufnahm, wurde von Daniel Barenboim gegründet, um das Vermächtnis seiner Arbeit mit dem inzwischen verstorbenen Edward Said weiterzuentwickeln. Dazu gehört nicht zuletzt auch das Angebot einer musikalischen und geisteswissenschaftlichen Ausbildung für junge Musiker aus dem Nahen Osten. Barenboims Projekt des Boulez Saals steht, wie Die Welt schrieb: »Gegen Intoleranz und Unterdrückung, für das freie Wort und für das Bewahren gemeinsamer Werte – durch Hinterfragen, Neubeurteilen, vor allem aber durch gemeinsames Spielen und kollektives Hören.« In Berlin gibt es auch den Musikkindergarten, den Barenboim 2005 unter dem Motto »Nicht Musikerziehung, sondern Erziehung durch Musik« gründete.
Auch Texte über Musik und die zivilisatorische Kraft der Kultur spielen eine wichtige Rolle in Daniel Barenboims engagierter Arbeit als Künstler und Pädagoge. 2006 hielt er Vorträge im Rahmen der BBC Reith Lectures, in denen er der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Musik und Gesellschaft nachging. Neben seiner Autobiografie A Life in Music (dt. Die Musik – Mein Leben) gehören unter anderem zu seinen Schriften: Parallels and Paradoxes (dt. Parallelen und Paradoxien), eine Reihe von Diskussionen mit Edward Said; die Essay-Sammlung La musica sveglia il tempo (dt. »Klang ist Leben« – die Macht der Musik); und Dialogue sur la musique et le théâtre: Tristan et Isolde (mit Patrice Chéreau).
Für seine musikalische und humanitäre Arbeit wurden Daniel Barenboim zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen zuteil. Unter anderem wurde er zum Grand Officier der französischen Ehrenlegion und Knight Commander of the Order of the British Empire (KBE) ernannt und er erhielt das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, den spanischen »Príncipe de Asturias«-Preis (zusammen mit Edward Said), den japanischen »Praemium Imperiale« für Kunst und Kultur, den Kulturpreis der israelischen Wolf Foundation, den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing, die Buber-Rosenzweig-Medaille, den Willy-Brandt-Preis, den Ernst von Siemens Musikpreis, den Herbert-von-Karajan-Musikpreis, den Konrad-Adenauer-Preis der Stadt Köln sowie gemeinsam mit dem West-Eastern Divan Orchestra den Rheingau Musik Preis 2020.
Anlässlich seines 75. Geburtstags brachte Deutsche Grammophon 2017 eine 39 CDs umfassende Jubiläums-Edition heraus: Daniel Barenboim – The Solo Recordings. Zu den weiteren Veröffentlichungen zählen: On My New Piano, Werke von Scarlatti, Beethoven, Chopin, Wagner und Liszt in seiner ersten Soloaufnahme auf dem Konzertflügel, den er mit dem Instrumentenbauer Chris Maene konzipiert hat; Bruckner: The Complete Symphonies mit der Staatskapelle Berlin; und Hommage à Boulez mit dem West-Eastern Divan Orchestra.
Zu Debussys 100. Todestag hat Barenboim 2018 eine persönliche Auswahl von Werken für Soloklavier des Komponisten eingespielt, darunter Estampes, die Suite bergamasque und Buch I der Préludes. Seine Live-Aufnahme der Klavierquartette von Mozart aus dem Pierre Boulez Saal mit seinem Sohn Michael, Yulia Deyneka und Kian Soltani kam im August des Jahres heraus. Einen Monat später veröffentlichte DG Barenboims zweite Gesamteinspielung der Brahms-Symphonien. Dieser Zyklus wurde mit der Staatskapelle Berlin wiederum im Pierre Boulez Saal aufgenommen (diesmal unter Studiobedingungen) – es war die erste Aufnahme mit großem Orchester, die dort gemacht wurde. 2019 erschien ein 2-CD-Album mit sämtlichen Klaviertrios von Mozart, eingespielt mit seinem Sohn und Kian Soltani.
2020 erschienen gleich mehrere Alben: Zur Feier von Beethovens 250. Geburtstag und des 20-jährigen Bestehens des West-Eastern Divan Orchestra präsentierte Barenboim Beethovens Symphonie Nr. 7 und das Tripelkonzert mit Anne-Sophie Mutter und Yo-Yo Ma als Mitschnitte von Konzerten in Buenos Aires und Berlin. Er dirigierte dann Dvořáks Cellokonzert mit Kian Soltani und der Staatskapelle Berlin. Mit seiner fünften Gesamteinspielung von Beethovens Klaviersonaten (zusammen mit den Diabelli-Variationen) sowie seiner Aufnahme sämtlicher Klaviertrios des Komponisten mit seinen regelmäßigen Triopartnern Michael Barenboim und Kian Soltani trat Barenboim wiederum als Pianist in Erscheinung.
Zur Feier von Martha Argerichs 80. Geburtstag veröffentlichte DG ein Debussy-Album, zu hören ist, neben La Mer, die Jubilarin unter Barenboims Dirigat in ihrer ersten Einspielung der Fantaisie sowie die Violinsonate (mit Michael Barenboim) und die Cellosonate (mit Kian Soltani) mit Barenboim am Klavier. Anlässlich Barenboims eigenem 80. Geburtstag wurde 2022 das Album Encores veröffentlicht mit seinen Lieblings-Zugabe-Stücken von Albéniz, Chopin, Debussy, Liszt, Schubert und Schumann sowie Schumanns vier Symphonien live aufgenommen mit der Staatskapelle Berlin. Das jüngste Album, veröffentlicht im Oktober 2024 zur Feier der 60 Jahre währenden Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern, präsentiert Francks Symphonie d-Moll neben Faurés Pelléas et Mélisande-Suite.
Nachdem er sich aus gesundheitlichen Gründen vom Podium zurückgezogen hatte, ist Barenboim nun wieder live zu erleben. So leitete er im Sommer ein umjubeltes Konzert bei den BBC Proms mit Anne-Sophie Mutter und dem West-Eastern Divan Orchestra und vor wenigen Wochen dirigierte er Martha Argerich und die Berliner Philharmoniker mit Beethoven und Brahms in Berlin, “ein Herbstgeschenk”, wie der Tagesspiegel befand.
11/2024
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