Wenn es so etwas wie einen toten Punkt im Leben gibt, an dem man entweder scheitert oder sich zu neuen Ufern aufmacht, dann hat Beethoven mit seinem vierzehnten Streichquartett vorgemacht, was es heißt, sich zu überwinden und einen Neuanfang zu wagen. Der taube Komponist, verzweifelt an der Welt und an sich selbst, bündelt in dem visionären Werk all seine schöpferische Kraft und belohnt sich mit der Entdeckung poetischen Neulands. Dass er das Rad der Geschichte dazu nicht neu zu erfinden braucht, weiß der Visionär, der eine hohe Meinung von Bachs Fugenkunst hat und sein vierzehntes Streichquartett mit einer elegischen Fuge beginnen lässt. Die romantische Potenz dieser lyrischen Töne, deren vorausweisende Modernität bis heute Staunen erregt, war indes schon bei Bach angelegt. Das zeigt sich auf dem neuen Album des Danish String Quartet.
Lichtbrechungen
“Prism III” ist die dritte Folge der Beethovens späten Streichquartetten gewidmeten Albumserie des nordischen Ensembles. Im Zentrum steht das Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll (op. 131) des Wiener Klassikers, gefolgt von Bartóks Streichquartett Nr. 1 (op. 7, Sz 40) und Bachs Fuge in cis-Moll (BWV 849). Wie schon in den vorherigen Alben des Aufnahmeprojekts, soll die Kombination eines späten Streichquartetts von Beethoven mit einer Bach-Fuge und einem neueren Werk der Quartett-Literatur die Wandlungen spürbar werden lassen, die Bachs Kompositionskunst im Laufe der Geschichte erfahren hat. “Wir hoffen”, so das Danish String Quartet, “dass der Hörer mit uns das Wunder dieser musikalischen Lichtstrahlen erlebt, die von Bach über Beethoven bis in unsere Gegenwart gereist sind.”
An “Prism III” überrascht die poetische Nähe der drei Komponisten. Wenn man das Bild des Prismas so auflöst, dass Bach für die Sonne steht, Beethoven das Prisma ist, durch das sich das Sonnenlicht bricht, und Bartók das daraus resultierende Farbspektrum, dann weiß man am Ende des Albums buchstäblich nicht mehr, wer wer ist.
Musikalischer Flow
Aber genau hierin besteht der Reiz des grammy-nominierten Prism-Projekts: Die Kategorien geraten durcheinander. Bisweilen wirkt eine Bach-Fuge moderner als ein Streichquartett des 20. Jahrhunderts. So staunt man auf “Prism III” nicht schlecht über die emotionale Geräumigkeit von Bachs Fuge in cis-Moll aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Wer nur die Cembalo- oder Klavierversion der Fuge kennt, wird überrascht sein von den abschiedlichen Stimmungen, die in Emanuel Aloys Försters Bearbeitung für Streichquartett zum Vorschein kommen. Dagegen weist Bartóks nachdenkliches Streichquartett an manchen Stellen fast archaische Züge auf. Beethovens vierzehntes Streichquartett ist wie ein langsam sich steigernder Rausch. Das Danish String Quartet gerät in einen regelrechten Flow. Es ist, als ob das Ensemble den melancholischen Taumel und den heroischen Arbeitsprozess des Komponisten in langen Linien nachvollzieht, bevor es sich Hals über Kopf in den “Tanz der Welt” stürzt, als den Wagner das furiose Finale von Beethovens vierzehntem Streichquartett auffasste.