Das Danish String Quartet hat mit der Reihe “Prism” ein ambitioniertes Albumprojekt gestartet. Im Vorjahr erschien der Erstling der Serie, die den Schwerpunkt auf die späten Streichquartette Ludwig van Beethovens legt. Die im Zeitraum 1824 bis 1826 entstandenen Streichquartette des Wiener Klassikers sind bekannt für ihre eigenwillige Hermetik, ihre gedankliche Komplexität und ihre Fülle von klanglichen Farbnuancen. Deshalb erfordern sie ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit, intellektuelle Reife und poetisches Feingespür. Die vier jungen Streicher wissen um diesen Anspruch. Dennoch haben sie die Latte noch höher gehängt. Die Pointe von Prism liegt in der raffinierten Programmatik der Serie begründet. Jedes Album verknüpft eines der späten Streichquartette Ludwig van Beethovens mit einer atmosphärisch passenden Bach-Fuge und einem modernen Werk der Quartett-Literatur. Auf diese Weise sollen musikalische Korrespondenzen über die Jahrhunderte hinweg spürbar werden – eine geschichtliche Qualität, die beim Münchener Label ECM New Series, wo die Albumreihe des Danish String Quartet erscheint, groß geschrieben wird.
Bach, Schnittke, Beethoven
“Prism II” verbindet Bachs Fuge in h-Moll aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers mit Alfred Schnittkes Streichquartett Nr. 3 und Beethovens Streichquartett Nr. 13 in B-Dur (op. 130/133). Die atmosphärischen Korrespondenzen dieser Kompositionen aus drei Jahrhunderten erschließen sich beim Hören des Albums nach und nach. Wer ihnen intellektuell nachgehen möchte, der findet in dem geistreichen Booklet-Essay von Paul Griffiths wichtige Anhaltspunkte. Das Album startet mit Bachs Fuge in h-Moll, die in ihrer poetischen Dichte und emotionalen Tiefe weit in die Zukunft vorausweist. Wer Interpretationen von Pianisten wie Glenn Gould oder Sviatoslav Richter kennt, der wird überrascht sein, wie stark sich das elegische Moment in der Fassung für Streichquartett durchsetzt.
Das Danish String Quartet spielt ein Arrangement aus der Feder des Beethoven-Zeitgenossen Emanuel Aloys Förster. Die vier Streicher lassen sich viel Zeit mit der Fuge, interpretieren sie großflächig und im Gestus nachfühlender Empfindsamkeit. Abschiedliche Töne klingen durch. Sie offenbaren sehnsuchtsvolle Momente bei Bach, die sich wie romantische Vorahnungen ausnehmen.
Fließende Bewegungen
Obgleich es zwischen stillen und unruhevollen Stimmungen schwankt, schließt sich Schnittkes Streichquartett Nr. 3 frappierend organisch an Bachs Fuge an. Das Danish String Quartet behält seinen weichen Ton bei. Es sucht zwischen den bebenden Zonen und den bis ins Idyllische reichenden Klanginseln in Schnittkes Streichquartett Brücken zu schlagen. Alfred Schnittkes Streichquartett Nr. 3 stammt aus dem Jahre 1983. Das Werk des russisch-deutschen Komponisten steckt voller Anspielungen auf die Tradition. Mit dem Zitat des Hauptthemas von Beethovens “Großer Fuge” lenkt es den Blick auf das Finale des Streichquartetts Nr. 13 in B-Dur, das als eine der kühnsten Kompositionen des Wiener Klassikers in die Musikgeschichte einging und den Höhepunkt des Albums der vier skandinavischen Streicher bildet.
Licht und Wärme
Die “Große Fuge” fand bei Beethovens Zeitgenossen wenig Anklang. Sie wurde als sperrig und befremdend empfunden. Beethoven ersetzte sie auf Verlangen seines Verlegers durch ein eingängigeres Finale seines Streichquartetts und veröffentlichte sie später gesondert. Das Danish String Quartet spielt die Originalfassung von Beethovens Streichquartett, mit der abschließenden “Großen Fuge”, die in ihrer taumelnden Modernität bis heute Staunen erregt. Das skandinavische Ensemble bringt in der Fuge eine seiner größten Stärken zur Geltung: minutiöse Genauigkeit, in Kombination mit entfesseltem Spiel. Der atemlose Furor der “Großen Fuge” darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grundstimmung des Albums von Licht- und Wärmeströmen dominiert ist.
Das gilt selbst noch für die schnelleren Sätze von Beethovens Streichquartett aus dem Jahre 1826: für das Presto oder den deutschen Tanz, denen das Danish String Quartet eine ungewöhnlich sanfte Note verleiht. Dadurch fällt der Kontrast zu der hauchzart sich vortastenden Cavatina nicht so stark aus und man findet gut in sie hinein, bevor sich dann mit einem klaren Schnitt das Tor zur “Großen Fuge” öffnet.