Der Start von Decca’s Most Wanted Recitals Anfang dieses Jahres lies Sammler weltweit aufmerken. Denn diese Klassikserie speist sich aus dem Fundus historisch bedeutsamer Gesangs-Recitals, die zwischen 1947 und 1978 von der Plattenfirma Decca aufgenommen wurden und zum überwiegenden Teil bislang nur auf Schallplatte erhältlich gewesen sind.
Ein Team von Universal Music in Mexiko hat die Serie konzipiert und ist bei der Auswahl der 50 Titel, die nun remastered (24bit/192kHz) als CD, MP3 und Stream wiederveröffentlicht werden, mit außerordentlicher Sorgfalt, fundiertem Wissen und Geschmackssicherheit zu Werke gegangen. Jetzt kommt das Projekt mit 15 letzten Titeln zum Abschluss.
Sternstunden des Liedgesangs
Die finale Staffel von Decca’s Most Wanted Recitals steht besonders im Zeichen des Kunstlieds, das im 20. Jahrhundert in den Baritonen Hermann Prey (1929–1998), Gerard Souzay (1918–2004) und Heinrich Schlusnus (1888–1952) drei seiner herausragendsten Interpreten fand. Prey, dem eine der glänzendsten Gesangskarrieren Nachkriegsdeutschlands beschieden war, singt Hugo Wolfs “Mörike-Lieder” mit der für ihn so charakteristischen Wärme und Anschmiegsamkeit.
Die Aufnahme von Schlusnus hält Perlen des Schubert-Gesangs bereit, u.a. Auszüge aus “Schwanengesang”, “Winterreise”, “Die schöne Müllerin”, vorgetragen mit bewegender, ungekünstelter Schlichtheit. Und Gerard Souzay, in der Serie mit insgesamt vier Titeln vertreten, glänzt mit unverwechselbarem Timbre und idiomatischer Diktion in einer Auswahl von Liedern französischer Komponisten.
Souzays Landsmännin Regine Crespin (1927–2007) hat für Decca nur ein Lied-Recital aufgenommen. Mit ihrem charaktervollen Sopran verleiht sie den Liedern von Schumann, Wolf, Debussy und Poulenc besondere Noblesse. Weich und heroisch voluminös klingt der Bassbariton von Hans Hotter (1909–2003) in einer Auswahl romantischer Lieder von Loewe, Brahms, Wolf und Strauss.
Die Sopranistin Hilde Güden (1917–1988), Mitglied des legendären Nachkriegs-Ensembles der Wiener Oper, bringt mit mädchenhaftem Charme und spontanem Ausdruck internationale Kinderlieder wie “Hush a Bye Baby”, “Sur le pont d’Avignon” und “Kommt ein Vogel geflogen” in ebenso bezaubernder Weise zum Klingen wie die Mozart-Arien aus “Idomeneo”, “Zauberflöte” oder “Figaro”, die der zweite ihr gewidmete Titel in dieser Staffel beinhaltet.
Echte Raritäten
Seltenheitswert haben Tondokumente der Sopranistin Nancy Tatum (geb. 1937) aus Memphis im US-Bundesstaat Tennessee. Es existiert von der mit einem prächtigen Oberklang und großem Volumen gesegneten Sängerin nur eine einzige Studioaufnahme für Decca, die Arien und Lieder von Wagner, Weber, Verdi, Ponchielli u.a. beinhaltet und nun erstmals in digital remasterter Form erscheint.
Eine Rarität ist auch die gemeinsame Aufnahme der glamourösen Sopranistin Lisa Della Casa (1919–2012) – eine der am häufigsten in dieser Serie vertretenen Stimmen – und des Schlagersängers Vico Torriani (1920–1998). Die beiden Schweizer singen Volkslieder und Schlager aus ihrer Heimat, in Schwyzerdütsch! Nachgerade obskur wird es mit den Opern- und Operetten-Arien, die von Ursula Farr, einer Sopranistin mit gänzlich im Dunkeln liegender Biografie, Anfang der 1970er Jahre für Decca aufgenommen wurden.
Drei Tenöre und ein Bass
Operngesang ist seit jeher die Domäne von Decca Records. Ihm gebührt denn auch der zweite Schwerpunkt der abschließenden Staffel von Decca’s Most Wanted Recitals. Der bulgarische Bass Nicolai Ghiaurov (1929–2004) gibt Kostproben seines ungewöhnlich breiten Repertoires und seines majestätischen Organs mit einer Auswahl von Bösewichten, darunter Don Giovanni (Mozart), Mefistofele (Boito) und der Großinquisitor aus Verdis “Don Carlo”.
Wie federleicht und strahlend sich dagegen die Tenorstimme von José Carreras (geb. 1946) ausnimmt, die bei der hiesigen Aufnahme mit italienischen Arien (Verdi, Donizetti, Rossini, Puccini u.a.) aus den späten 1970er Jahren in schönster Blüte stand. Ein besonderes Gefühl für die italienische Sprache, wie es der Katalane kultiviert hat, wurde den Tenören Giuseppe Campora (1923–2004) und Gianni Poggi (1921–1989) in die Wiege gelegt. Sie versprühen authentische italienische Lebensfreude und Sangeslust mit Arien von Puccini, Verdi, Giordano, Boito, Cilea, Mascagni u.a.
Voluminöse Sopranstimmen
Inge Borkh, 1917 in Mannheim geboren, beeindruckte als ausgebildete Schauspielerin und Tänzerin mit starker Bühnenpräsenz. Wie kunstreich sie auch ihre schöne und kraftvoll-helle Sopranstimme einzusetzen verstand, belegt ihre Aufnahme mit Arien Dvořáks, Glucks, Mascagnis, Verdis, Debussys u.a.
Eine weitere herausragende Darstellerin mit besonderem Einfühlungsvermögen, die obendrein große musikalische Intelligenz besaß, war Gwyneth Jones (geb. 1936). Sie verdankte ihre Popularität zu einem wesentlichen Teil ihren deutschsprachigen Rollen. In “Scenes from Verdi” mit Auszügen aus “Aida”, “Don Carlo”, “Macbeth”, “Otello” und “Il trovatore”, aufgenommen vor dem Einsetzen stimmlicher Probleme ab Mitte der 1970er Jahre, brilliert sie mit exquisitem Legato und eleganter Phrasierung.