Dunkle Stimmen üben einen ganz eigenen Reiz aus. Sie können einen Hörer mit ihrer geballten Macht und ihrem raumfüllenden Volumen völlig in ihren Bann ziehen. Bassisten und Baritone verfügen über eine enorme Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten. Einerseits klingen sie oft erdverbunden und grundierend. Andererseits können sie aber auch durch komische, lyrische oder dramatische Akzente tiefe emotionale Wirkungen erzielen.
Repräsentativer Überblick
Was an tiefen Stimmen so sehr fasziniert, das ist die innere Spannung, die sie zu erzeugen vermögen. Warmherzige Zartheit und kühle Entschiedenheit, Mut und Angst, Lyrisches und Dramatisches liegen bei ihnen oft sehr nah beieinander. Manche Sänger, wie Hans Hotter, verkörpern mehrere dieser Elemente in einer Person. Sie können mit poetischer Inniglichkeit genauso singen wie mit dramatischer Inbrunst. Andere wiederum verfeinern ein bestimmtes Fach bis zur äußersten Perfektion.
Mit der Serie
Decca’s Most Wanted Recitals, die in allerhöchster Klangqualität ein repräsentatives Spektrum der größten Sänger und Sängerinnen des 20. Jahrhunderts darbietet, kann man jetzt beide Typen von Sängern gleichermaßen bewundern: die unüberbietbaren Größen in ihrem Fach und die Wechselnaturen. Dabei präsentieren die Alben von
Gérard Souzay, Fernando Corena und
Ingvar Wixell vor allem Sängerpersönlichkeiten, die in ihrem Fach einen maßgeblichen Einfluss ausübten.
Ein flinker Bass-Buffo: Fernando Corena (1916–1984)
Fernando Corena ist ein Bass-Buffo, wie er im Buche steht. Man hört jeder Note, die er singt, den Witz und Charme seiner Figuren an. Zeitzeugen berichten von seiner enormen Bühnenpräsenz. Sobald dieser Schweizer Sänger die Bühne betrat, füllte er den ganzen Raum aus und zog sämtliche Blicke auf sich. Das kann man sich gut vorstellen. Denn wenn man jetzt sein ebenso elegantes wie leicht dahinfließendes Album “A Recital of Mozart Arias” hört, dann spürt man allenthalben diesen sprühenden Witz. Corena, der 1947 in Triest als Warlaam in “Boris Godunow” debütierte und 1953 Mitglied der Met in New York wurde, zaubert die komischen Atmosphären nicht nur als Schauspieler hervor, sondern vor allem mit seiner Stimme. Dabei ist es gar nicht unbedingt die gesangliche Perfektion, die ihn auszeichnet.
Eher ist es sein unbekümmerter Ausdruck, der den Mozart-Arien diese ganz eigene Corena-Färbung verleiht. Corena belebt diese Wunderwerke der Melodie mit einer gewissen Frivolität, die in dieser witzigen Form einzigartig sein dürfte. Man möchte immerzu mitschmunzeln, wenn er zum Beispiel als Leporello in “Don Giovanni” die berühmte Register-Arie singt und der „schönen Donna“ eröffnet, wie viele Liebhaber Don Giovanni in den unterschiedlichen Ländern Europas hat. Der bittere Witz dieser Arie kommt in dem flinken Gesang Corenas unübertrefflich zur Geltung. Wunderbar schwebend klingen die sechs Konzertarien Mozarts, die der CD als Bonus-Material beigefügt sind. Die ebenfalls auf der CD erscheinenden fünf Stücke aus Cimarosas “Il Maestro di Cappella” präsentieren ihn wiederum ganz in seinem komischen Element.
Ein wahrlich dramatischer Bariton: Ingvar Wixell (1931–2011)
Drei Jahrzehnte lang blieb er der Deutschen Oper in Berlin treu, so wichtig war ihm dieser Spielort und die künstlerische Kontinuität, die man ihm hier ermöglichte. Ingvar Wixell, der mit Weltstars wie Pavarotti und Carreras auf der Bühne stand, war einer der weltweit bedeutendsten Baritone im Heldenfach. Von ungeheuerer Gesangskraft, mit einer mächtigen männlichen Stimme ausgestattet und doch gefühlvoll bis ins Mark, scheute er keinerlei Pathos, wenn er auf der Bühne stand.
Dabei war ihm Verdis Kompositionskunst, die eine Neigung zu dramatischen Arien verrät, wie auf den Leib geschrieben. In der väterlichen Rolle des Rigoletto zum Beispiel konnte er sowohl seine dramatische Begabung als auch sein fürsorgliches Temperament voll zur Entfaltung bringen. Wenn man ihn auf der jetzt erschienenen Verdi-CD in der Arie “Cortigiani, vil razza dannata” die Höflinge zurechtweisen hört, dann blitzt und donnert es heftig. Aber hinter diesem Gewitter ahnt man zugleich das warme Verlangen des Vaters, der zu seiner Tochter will. “Ingvar Wixell sings Verdi”, eine CD-Premiere in der Serie Decca’s Most Wanted Recitals, lebt durchweg von der zärtlich-dramatischen Spannung in Wixells Stimme und natürlich von den berückend schönen Melodien des italienischen Komponisten.
Dieser französische Fischer-Dieskau: Gérard Souzay (1918–2004)
Gérard Souzay ist einer der feinsten lyrischen Baritone des 20. Jahrhunderts. Es gibt kaum einen Sänger, der eine solche Diskretion walten lässt und gerade hierdurch eine so starke emotionale Wirkung erzielt. Hätte er nicht zugleich diese dunkle, weiche Macht in der Stimme, die auf ihre Weise den Hörer bannt, dann wäre er wohl einer von diesen schüchternen Leuten, die dadurch Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass sie etwas zu sagen haben. Aber Souzay weiß natürlich, was er kann, und er hat seinen unnachahmlichen Stil der diskreten Pointierung ein Leben lang perfektioniert.
Man hat ihn nicht umsonst einen französischen Fischer-Dieskau genannt. Gefühl und intellektuelle Durchdringung, Wort und Melodie – alles ist bei Souzay perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn man Souzay singen hört, dann hat man immerzu das Gefühl: Es passt, es stimmt einfach alles, und man sitzt wie gebannt auf seinem Stuhl und bewegt sich kaum einen Millimeter vom Fleck. Man will diese zarte Melancholie nicht stören, die seine Interpretationen von Händel, Rameau und Lully auf der jetzt erschienenen CD durchweht. Die Dunkelheit seiner Stimme hört man nur selten, dann aber umso klarer. Aber nie überschreitet er diese diskrete Grenze, die er sich selbst gesetzt hat. Souzays CD ist vielleicht einer der schönsten Schätze in der Serie Decca’s Most Wanted Recitals.