Nicht jede Opernsängerin beherrscht das Gebiet der Operette, des Chansons oder der Musical-Songs. Die Noten zu lernen ist das eine. Das andere ist die Strahlkraft der Persönlichkeit. Die Interpretation von Musical-Songs erfordert bestimmte Gaben: ein weltläufiges Flair, eine kräftige Bühnenpräsenz, eine gewisse glamouröse Aura und stimmliche Flexibilität.
Reich beschenkt
Hilde Güden gehörte zu den Opernstars des 20. Jahrhunderts, die mit all diesen Gaben reich gesegnet waren. Ausgebildet als lyrische Sopranistin und Tänzerin, die später auch im Koloraturfach sang, verfügte sie über eine musikalische und schauspielerische Doppelbegabung. Sie verzauberte ihr Publikum auf allen möglichen Ebenen der Kunst: als Interpretin komplexer Strauss- und Mozart-Rollen genauso wie als Sängerin der „leichten Muse“. In den Mozart-Rollen der Gräfin (“Die Hochzeit des Figaro”), der Donna Elvira (“Don Giovanni”) oder der Pamina (“Die Zauberflöte”) war sie Weltklasse. Als Sophie in Richard Strauss’ “Rosenkavalier” betörte sie den Komponisten höchstselbst. Aber auch als Rosalinde in Johann Strauss’ “Fledermaus” löste sie Begeisterung aus.
Dame und Diva
Was Hilde Güden stimmlich auszeichnete, war ihr unaufgeregtes, souveränes Vibrato, das nie zu lang oder gar schrill geriet, sondern in vollkommener Perfektion stets das rechte Maß traf. Das war ungewöhnlich und kann auf den überlieferten Aufnahmen nur bestaunt werden. Schauspielerisch und in ihrer persönlichen Ausstrahlung galt die Güden als das Paradox einer Diva, die Diskretion und Damenhaftigkeit mit einer leicht koketten Note verband. Im Kern war sie eine ernste Persönlichkeit. Sie hatte viel durchgemacht, musste auf Grund ihrer jüdischen Herkunft 1942 vor den Nazis fliehen, war in ihren Ehen nicht immer glücklich und starb, wie man annimmt, eher einsam.
Ein kurzer Flirt
Das Singen war ihr in die Wiege gelegt. Sie war ein Naturtalent, und sie vermochte trotz aller Zurückhaltung ihre ganze Persönlichkeit in die Kunst einzubringen. Was ihre Interpretation der Musical-Songs von Ivor Novello und Noël Coward so reizvoll macht, ist die geringe, dafür aber umso konzentriertere Dosierung des augenzwinkernden Moments. Die Lieder von Ivor Novello und Noël Coward handeln vom prallen Leben, von der Liebe, von Aufbrüchen, von Schmerz und Abschied. Es ist die Musik des städtischen, glamourösen Lebens, der heimlichen Hoffnung, den Katastrophen der Welt zu entkommen und in der Liebe Erfüllung zu finden. Hilde Güden verkörpert mit ihrer Stimme ganz selbstverständlich diese natürliche Sehnsucht. Sie braucht kein pathetisches Aufhebens zu machen, um Wirkung zu erzielen. Ihre Persönlichkeit ist stark genug, um ohne Affekthascherei das Gefühl dieser Songs zu treffen. Das gilt in anderer, eher humorvoller Weise auch für die schwungvollen Wiener Lieder auf diesem Album. Hier spürt man ihre Herkunft und ist hingerissen von ihrem Charme.
Keine halben Sachen
Das Album
“My Secret Heart”, in der Reihe
Decca’s Most Wanted Recitals in gewohnt hoher klanglicher Qualität erschienen, ist ein regelrechtes Kleinod unterhaltsamer romantischer Lieder. Man gerät geradezu ins Träumen und in Feierlaune, wenn man diese Aufnahmen hört. Das absolute Highlight der CD ist dabei “I’ll Follow My Secret Heart” von Noël Coward. Der Song, der auch von Frank Sinatra und zuletzt von Sting interpretiert worden ist, scheint der Güden wie auf den Leib geschrieben. Kommt er einerseits pathetisch daher, so enthält der Song doch eine einfache Botschaft, die der Sängerin voll entspricht: den verborgensten Wünschen des Herzens zu folgen, bis man Liebe findet, egal welcher Preis dafür zu entrichten ist. Wenn man die Güden das singen hört, dann spürt man sofort, dass sie es ernst meint, dass dies ihr Lebensmotto sein könnte. Keine halben Sachen. Keine Kompromisse. Wenn das keine Haltung ist!
Sehen Sie hier
alle Alben der Serie “Decca’s Most Wanted Recitals”.