Das 20. Jahrhundert war reich an schönen Stimmen. Wenn man beginnt, sie aufzuzählen, dann wird man kein Ende finden. Neben der gründlichen Kenntnis, wie sie sich zum Beispiel in Jürgen Kestings monumentalen Büchern über die Sänger des 20. Jahrhunderts zeigt, sind es natürlich vor allem die modernen Aufnahmetechniken, die uns heute einen tiefen Einblick in die Gesangskunst des 20. Jahrhunderts gewähren. Decca hat hier Gewaltiges geleistet. Sowohl auf technischem Gebiet als auch bei der Akquise der bedeutendsten Sänger und Sängerinnen des 20. Jahrhunderts war das Traditionslabel seinen Konkurrenten immer einen Schritt voraus, und wenn man jetzt nach und nach die legendären Gesangs-LPs des Labels in klangtechnisch vollendeter Güte auf CD sowie als MP3 und Stream hören darf, dann ist man immer wieder aufs Neue verblüfft, was für wunderbare Sänger und Sängerinnen es gab.
Italienische Lieder und Opern-Recitals
Wahre Schatzgruben sind zum Beispiel die Veröffentlichungen mit Giuseppe Valdengo, Gianni Poggi und Cesare Siepi. Bariton Valdengo (1914–2007), der eine Weltkarriere hinlegte und ab 1947 eng mit dem Stardirigenten Arturo Toscanini zusammenarbeitete, singt mit voluminöser und doch sanfter Stimme populäre italienische Lieder (“La serenata” u.a.). Gianni Poggi (1921–1989), ein weich klingender Tenor, singt auf seinem bunt gemischten Album bekannte italienische Opern-Arien und Lieder (“O sole mio”, “Passione” u.a.). Mit Cesare Siepi taucht ein Sänger auf, der in der ersten Staffel bereits mit Broadway-Songs vertreten war. Dieser Bass demonstriert auch mit seinem Album “Italian Songs”, dass er sich an der Grenze von populärem Song und Opern-Arie besonders gerne aufhält. Das gilt natürlich auch für den großen José Carreras, dessen gemischtes Album aus dem Jahre 1978 die Möglichkeit bietet, den Spanier mit junger Stimme Klassiker wie “O sole mio” oder “Dein ist mein ganzes Herz” singen zu hören. Wer das kunstvolle, mit zarten Verzierungen ausgestattete Belcanto-Repertoire schätzt, der sollte auf “Donizetti Arias” des italienischen Baritons Renato Bruson und “Operatic Recital” der rumänischen Sopranistin Virginia Zeani zurückgreifen.
Treue und Kontinuität
Dass man einigen Namen aus der ersten Staffel wiederbegegnet, beweist die Treue des Labels zu seinen Künstlern. Hilde Güden, die bei der ersten Staffel mit ernsten Strauss-Liedern vertreten war, kann man jetzt auf “My Secret Heart” so inniglich wie spritzig Lieder von Musical-Komponist Ivor Novello und populäre Lieder aus Wien singen hören. Fernando Corenas brilliert mit herbem Bass auf seinem Album “In Orbit” mit Liedern von Bernstein, Trosti u.a. Besonders erfreulich ist, dass der als französischer Fischer-Dieskau gefeierte Gérard Souzay in der zweiten Staffel wieder auftaucht. Der subtile Bariton war in der ersten Staffel mit französischem Repertoire vertreten. Jetzt widmete man ihm gleich zwei Titel, die ihn als Schumann-Interpreten mit exzellenter Diktion und ungeheurem Einfühlungsvermögen zeigen.
Leichtes und Ernstes
Das unbefangene Nebeneinander von leichter und ernster Muse ist eine besondere Stärke von Decca’s Most Wanted Recitals Tenor Julius Patzak (1898–1974) demonstriert, welch eine Gesangsfreude Johann Strauss II und Jacques Offenbach auslösen können. Ernster geht es da schon bei der begnadeten französischen Koloratursopranistin Mado Robin (1918–1960) zu, die mit lyrischer Zartheit in Arien von Gounod und Donizetti eindringt. Der in seinen frühen Jahren als Mozart-Interpret gefeierte und später dann als Wagner-Sänger verehrte Bass-Bariton Paul Schöffler (1897–1977) singt kräftig entschlossen Mozart und mit feierlichem Ernst Richard Wagner. Der Berliner Bariton Hermann Prey (1929–1998), der ein Leben lang für Franz Schubert brannte, singt auf seinem Album “Schwanengesang” inbrünstig die sehnsüchtigen Lieder seines romantischen Helden. Last but not least sei die Perle der Reihe schlechthin genannt: die dramatische Sopranistin Birgit Nilsson, die Arien aus Verdis “Aida” und als Bonus Tracks die berühmten Wesendonck-Lieder von Richard Wagner zum Besten gibt.