Es war das erste klassische Konzert seit zwanzig Jahren, das vor der imponierenden Kulisse des Kaiserlichen Ahnentempels in Peking stattfand. Neben den 1200 geladenen Gästen vor Ort erreichte die Gala dank simultaner Live-Streams in YouTubes 360° Virtual Reality und in Standard-Formaten ein gigantisches Publikum weltweit. Das Konzert bildete den Auftakt zu einer einjährigen Reihe von globalen Veranstaltungen, Neuveröffentlichungen und einem Digitalisierungsprojekt des historischen Archivs der Deutschen Grammophon.
Im ersten Teil der Gala erklangen träumerisch bis sehnsuchtsvoll stimmende Werke von
Liu Tianhua,
Max Richter und
Sergei Rachmaninow, bevor im zweiten Teil als Höhepunkt einer allmählichen Steigerung
Carl Orffs überwältigendes Chorwerk “
Carmina Burana” zu hören war.
Brücken bauen: Europa und Asien
Die Stimmung war aufs Äußerste gespannt, als Long Yu, Dirigent des renommierten Shanghai Symphony Orchestra, vor das Publikum trat und die ersten Takte von “Zaubernacht” anstimmte. Die sanft schwingenden Klänge dieses hinreißend lyrischen Werkes stammen von Liu Tianhua, einem chinesischen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts, der als einer der ersten Tonschöpfer seines Landes westliche Kompositionstechniken mit traditioneller chinesischer Musik verband.
Einen besseren Brückenbauer hätte man sich kaum vorstellen können für ein globales Konzertereignis, das Tradition und Moderne, altbekanntes und neues Repertoire, Europa und Asien in einen lebhaften Dialog zu bringen suchte. Das aus Anlass des 120. Geburtstags der Deutschen Grammophon ausgerichtete Galakonzert bewegte sich denn auch in der Folge jederzeit auf der Höhe dieses Anspruchs. Die Aufführung geriet zu einer wahren Demonstration der inspirierenden Internationalität und klanglichen Farbenvielfalt klassischer Musik.
Imponierende Kulisse: Der Kaiserliche Ahnentempel in Peking
“Das Konzert war unvergesslich”, so Dr. Clemens Trautmann, Präsident von Deutsche Grammophon. “Sein historischer Charakter wurde noch verstärkt durch den legendären Ort vor dem Kaiserlichen Ahnentempel und den Mauern der Verbotenen Stadt. Diese beeindruckenden Gebäude entsprachen den herrlichen Klängen des Shanghai Symphony Orchestra, der Wiener Singakademie und der internationalen Riege von Solisten unter der Leitung von Long Yu, der dort als erster chinesischer Dirigent überhaupt auftrat.”
Toby Spence, britischer Tenor und neben der russischen Starsopranistin
Aida Garifullina und dem renommierten französischen Bariton
Ludovic Tézier an den sängerischen Soloparts der Carmina Burana beteiligt, betont die ehrfurchtgebietende Wirkmacht der Kulisse: “Das geschwungene Dach ragt empor über dem wuchtigen Sockel aus weißen Steintreppen und -stufen, und der blau-rot-goldene Komplex, der so stolz auf den Marmormassen ruht, scheint verächtlich auf uns herabzublicken, als wolle er sagen: ‘Verneigt euch!’ Wir sind tief beeindruckt.”
“O Fortuna”: Bebende Interpretation der Carmina Burana
Spence legt diese Eindrücke in berührenden Tagebuchaufzeichnungen dar, die im Booklet zu dem gerade erschienenen Live-Album der Gala abgedruckt sind. Das Album enthält neben der kompletten Aufführung von Carl Orffs “Carmina Burana” auch Liu Tianhuas besagte “Zaubernacht” sowie “Jasminblüte”, ein chinesisches Traditional. Parallel zu dem Audiomitschnitt erscheint eine DVD/Blu-ray, die das komplette Konzertprogramm der Gala umfasst. Das schließt Rachmaninows sehnsuchtsvolles Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll und Max Richters stilles lyrisches Stück “November” von dem Album “Memoryhouse” mit ein.
Wie der fesselnde, übrigens auch zahlreiche Backstage-Szenen mit den Solisten aufweisende Filmmitschnitt eindrucksvoll zeigt, fügen sich die meditativen Wellenbewegungen von Max Richters neoklassischem Stück glänzend in die geheimnisträchtige Atmosphäre des ungewöhnlichen Konzertsettings. Die junge norwegische Geigenvirtuosin
Mari Samuelsen spielt ihren Solopart mit viel Gefühl und souveräner Technik. Als furios nimmt sich schließlich der Auftritt von
Daniil Trifonov aus. Der russische Starpianist durchdringt das Klavierkonzert von Rachmaninowebenso leidenschaftlich wie feinfühlig.
Dass danach überhaupt noch eine Steigerung möglich war, dürfte neben der perfekten Choreographie des Ereignisses und der magischen Aura des Ortes auch dem begeisternden Auftritt von Long Yu geschuldet gewesen sein. Der chinesische Ausnahmedirigent trieb das Shanghai Symphony Orchestra, die Wiener Singakademie, den Shanghai Spring Children’s Choir und die Sängersolisten zu dermaßenen Höchstleistungen an, dass von dieser wahrhaft bebenden Interpretation der Carmina Burana wohl noch lange die Rede sein wird.