Obgleich aus Prag stammend, gilt Alfred Grünfeld als Wiener Original. Ein Publikumsliebling par excellence, hinterließ er tiefe Spuren im Musikleben der Donaumetropole. Seine Fähigkeit, ernste und leichte Musik ungezwungen nebeneinander zu stellen, war legendär und fügte sich glänzend in die großzügige Atmosphäre des Wiener Kulturlebens um 1900 ein. Grünfeld widmete sich tiefsinnigen Impromptus von Franz Schubert mit der gleichen Hingabe wie süffigen Walzern von Johann Strauss. Undurchlässige Genregrenzen existierten für ihn nicht.
Schillernde Persönlichkeit: Alfred Grünfeld (1852–1924)
Der allseits bewunderte Pianist war bekannt für seinen perlenden Klang. Sein Klavierspiel verströmte eine Leichtigkeit und Eleganz, die bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt haben. 1852 in Prag geboren, lernte der Spross eines jüdischen Lederhändlers sein musikalisches Handwerk bei Josef Krejčí und Bedřich Smetana am Prager Konservatorium, bevor er nach Berlin zu Theodor Kullak an die Neue Akademie der Tonkunst wechselte. Im Alter von zwanzig Jahren spielte er Franz Liszt in Weimar vor. Dessen lobende Worte prägten ihn ein Leben lang.
Der gefürchtete Musikkritiker Eduard Hanslick lobte neben den außerordentlichen pianistischen Fähigkeiten Alfred Grünfelds seinen “guten Geist der Unterhaltung”. “Der Pianist Wiens”, wie er auch genannt wurde, konnte ein Publikum vollkommen in Bann schlagen. Eine Karikatur von 1907 zeigt ihn auf einem Flügel thronend, “die hohe Schule reitend”. Zu seinen Spezialitäten gehörten Konzertparaphrasen von Strauss-Walzern. Alfred Grünfeld war mit Johann Strauss (Sohn) befreundet, der ihm seinen Frühlingsstimmenwalzer widmete.
Zahlreiche Aufnahmen: Eine bedeutende Diskographie
Neben seinen Soloauftritten in Salons oder Konzertsälen erschien der Pianist auch häufig in Quartetten oder tourte mit seinem Bruder, dem großen Cellisten Heinrich Grünfeld, um die ganze Welt. Neben der Bühne war er intensiv mit Aufnahmen beschäftigt. Alfred Grünfeld war der erste Starpianist, der eine bedeutende Diskographie hinterließ: Im Zeitraum von 1899 bis 1915 nahm er im großen Umfang Schallplatten auf. Seine erste Aufnahme hatte er bereits im Jahre 1889 getätigt, festgehalten auf Wachsrollen für Edisons Phonographen.
Immer tanzbereit: Swingartige Dimensionen
Die jetzt in neuer Digitalisierung verfügbaren Schellackaufnahmen des überragenden Pianisten tragen seiner doppelten Bedeutung als Komponist und Interpret Rechnung. Deutsche Grammophon hat 17 Titel von Alfred Grünfeld zusammengestellt, die unter Rückgriff auf die im Archiv des Gelblabels lagernden Original-"Väter" der Schellackplatten in aufwendigen Verfahren digitalisiert wurden. Von erstaunlich hoher Klangqualität, bietet die Auswahl einen repräsentativen Querschnitt durch eine frappierend moderne und stets unterhaltsame Klavierkunst.
Grünfelds eigene Kompositionen sind von tänzerischer Verve, die oft eine leicht melancholische Färbung annimmt. In hinreißend beschwingter Manier und harmonisch scharf konturiert interpretiert er Stücke von Bach, Schubert, Schumann, Chopin, Grieg, Moritz Moszkowski und Ignacy Jan Paderewski. Ein Highlight der Zusammenstellung ist die Gavotte aus Bachs Englischer Suite Nr. 6 in d-Moll, die bei Grünfeld furios Tempo aufnimmt und in beinahe swingartige Dimensionen vordringt.
Visionäre Klavierkunst: Der Zeit weit voraus
In poetischen Stücken wie Schumanns Vogel als Prophet aus dem Zyklus Waldszenen oder Schuberts Impromptu Nr. 2 in Es-Dur bewährt sich der perlende Anschlag des Pianisten. Aus seinen eigenen Kompositionen sticht die Etude à la tarentelle hervor, deren atemberaubendes Tempo sich zu einem ungeheuer modern anmutenden, hochgespannten Flirren steigert. Ein Klassiker seines oft improvisatorisch wirkenden Spiels ist seine weich fließende Fantasie über Schuberts “Wohin?” und “Die Forelle”. Zeigt er sich hier als lyrischer Arrangeur, so ist er mit der erstaunlich komplex sich verzweigenden Paraphrase über J. Strauss’ Cinderella-Walzer ganz in seinem koketten Element.