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Vater des Gesangs

Dietrich Fischer-Dieskau
© Harald Hoffmann / DG
26.05.2010
Die ersten Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau für die Deutsche Grammophon entstanden im September 1949. Es waren „Vier ernste Gesänge op. 121“ von Johannes Brahms, Reflexionen über die Vergänglichkeit des Menschen, die während der unmittelbaren Nachkriegsjahre von den Zuhörern besonders nachempfunden werden konnten. Es war der Start einer ungewöhnlichen musikalischen Zusammenarbeit, die Fischer-Dieskau darin unterstützte, zu einem der wichtigsten Sänger des vergangenen Jahrhunderts zu werden. Zu den hervorragenden Eigenschaften des Barions aus Berlin gehört dabei von jeher seine Vielseitigkeit. Wo andere sich nur auf ein Fach spezialisieren, gelang es ihm bereits in den Fünfzigern, sowohl auf der Opernbühne wie als Liedersänger und sowohl als klassischer Interpret wie auch als Spezialist für zeitgenössische Uraufführungen anerkannt zu werden. Bis Mitte der achtziger Jahre hatte er rund 3000 Lieder von etwa 100 Komponisten aufgenommen und wesentlich dazu beigetragen, dass das Kunstlied seinen bedeutenden Platz in Bewusstsein der Hörer behielt. 1973 wiederum begann er eine weitere Laufbahn als Dirigent, als er mit großem Erfolg für den erkrankten Otto Klemperer bei einer Schallplattenaufnahme von Brahms' „Die schöne Magelone“ einsprang. Er ist ein Universaltalent und war in der Lage, die vielen Begabungen – nebenbei übrigens malt er, ist als Buchautor und zuweilen noch als Rezitator tätig – mit gleicher Intensität zu pflegen.
Sensationell und bis heute Maßstäbe setzend ist dabei seine Beschäftigung mit Franz Schubert. Als Dietrich Fischer-Dieskau sich daran machte, Anfang er Fünfziger ganze Liederzyklen des Komponisten aufzunehmen, fiel er damit noch völlig aus dem Rahmen. Das Publikum war es gewöhnt, einzelnen Stücke im Rahmen von Recitalen zu erleben, jedoch nicht eine komplette „Dichterliebe“ oder „Schöne Müllerin“ vorgesetzt zu bekommen. So war es für manchen eine Zumutung, für viele aber eine Offenbarung, als Fischer-Dieskau zunächst mit den geläufigsten Zyklen wie die „Winterreise“, „Die schöne Müllerin“ oder eben der „Dichterliebe“ auf LP in Erscheinung trat. Da der junge Bariton aus Berlin darüber hinaus über eine frappante Stimmtechnik und interpretatorische Reife verfügte, war es für viele Musikfreunde in Deutschland überhaupt das erste Mal, dass Schubert ihnen in dieser umfassenden, kompetenten Form nahe gebracht wurde. Doch Fischer-Dieskau hatte noch mehr vor. Es ging ihm nicht nur um die Highlights des Repertoires oder einzelne Zyklen, er wollte das Liedschaffen Schuberts in seiner Gänze auf Tonträger dokumentieren. Das war in vieler Hinsicht ein ehrgeiziges Unterfangen. Es bedeutete, rund 600 Lieder zu lernen, zu interpretieren und dabei möglichst durchgehend das gleiche hohe Niveau der Darstellung zu halten.
Er machte sich gemeinsam mit seinem kongenialen Begleiter Gerald Moore am Klavier ans Werk und sang und sang und sang. So entstand die erste komplette Aufnahme der Schubert’schen Lieder der Schallplattengeschichte, eine Pioniertat, die nicht nur die künstlerische Kompetenz des unermüdlichen Interpreten dokumentierte, sondern diese Werke für die meisten Klassikfreunde überhaupt zum ersten Mal zugänglich und hörbar machte. So ist die Box mit 21 CDs, die die legendären Aufnahmen kompakt und kompetent kommentiert zusammenfasst, ein Meilenstein, der aufgrund der ungeheuren Musikalität Fischer-Dieskaus nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Anlässlich des 85.Geburtstags des Künstlers wird sie nun in einer preiswerten limitierten Edition wieder veröffentlicht und bietet eine einmalige Gelegenheit, sich auf höchstem Niveau mit dem Lied-Oeuvre des Komponisten und der faszinierenden Kompetenz des Interpreten vertraut zu machen. Für alle, die nicht derart in die Tiefe gehen wollen, wurden darüber hinaus von den Spezialisten der Deutschen Grammophon aus diesem Werkkomplex einen CD zusammengestellt, die die beeindruckendsten Highlights dieser an sich schon phänomenalen Edition heraushebt. So gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich an die Kunst von Dietrich Fischer-Dieskau heran zu tasten, umfassend oder punktuell. Das Ergebnis wird sich ähneln, denn es mündet mit großer Wahrscheinlichkeit in Begeisterung.

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