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Die musikalischen Visionen des Igor Strawinsky

Igor Stravinsky – The New Complete Edition
© DG
03.03.2021
Niemand geringeres als Claude Debussy war es, der dem jungen Strawinsky im April 1912 in einem Brief Bewunderung zollte, nachdem er dessen Ballett “Petruschka” erlebt hatte: “Sie werden über ‘Petruschka’ hinausgehen, das ist gewiss, aber Sie können bereits stolz auf das sein, was Sie mit diesem Werk erreicht haben.” Wenn wir das gesammelte Werk überblicken, das Strawinsky nach seinem Tod am 6. April 1971 hinterließ – allein 11 Ballettmusiken, Opern wie “Rakes Progress” und “Oedipus Rex”, Sinfonien, Konzerte , Vokalwerke wie die “Psalmensinfonie” oder seine Messe für Chor und Orchester, Kammermusik, Klavierwerke – dann wissen wir, wie recht Debussy hatte: Strawinsky ist weitergegangen, viel weiter.
Anlässlich des 50. Todestages Igor Strawinskys präsentiert die Deutsche Grammophon mit “Igor Stravinsky – The New Complete Edition” jetzt eine vollständige Übersicht über alle ihre Aufnahmen der Werke eines der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Es ist nicht die erste Edition, die ihm gewidmet wird, aber mit dieser neuen Veröffentlichung wird die erfolgreiche Strawinsky-Edition von 2015 um drei Aufnahmen erweitert. Etwa um jene, die Seiji Ozawa 1992 mit dem Boston Symphony Orchestra und dem Tanglewood Festival Chorus realisierte: die fünf kanonischen Variationen Johann Sebastian Bachs für Orgel über “Vom Himmel hoch da komm' ich her” BWV 769, in der Bearbeitung und Orchestrierung durch Igor Strawinsky, oder die Aufnahme der Bearbeitung von “The Star Spangled Banner”, die Strawinsky selbst dirigierte.
Dass die Ballettmusiken Igor Strawinskys einen großen Teil der Box einnehmen ist nur folgerichtig, war es doch “Der Feuervogel” (L’Oiseau de feu), mit dem der junge Strawinsky seinen Ruhm als Komponist begründete. Die meisten dieser Ballettmusiken wären wahrscheinlich gar nicht entstanden, wäre der junge Igor Strawinsky nicht dem Ballettimpresario Sergej Diaghilew und seiner Balletts Russes begegnet. Denn Diaghilew war ein Visionär, der die alte Ästhetik des Balletts hinwegfegen wollte, zugunsten “neuer Gebote einer neuen Ästhetik”. Aber dazu brauchte es die richtige Musik. Hier kam der junge russische Komponist aus Petersburg Igor Strawinsky ins Spiel, der die Musik für “Les Noces”, “Le Baise de la fée”, “Pulcinella” komponerte. Die Berichte über die von Tumulten begleitete Uraufführung von “Le Sacre du Printemps” sind legendär.

Wegweisende Aufnahmen

Strawinskys musikalischen Visionen waren und sind bis heute den bedeutendsten Klassikkünstlern Inspiration und Antrieb, sie zu verwirklichen. Claudio Abbado, Vladimir Ashkenazy, Leonard Bernstein, John Elliot Gardiner oder Rafael Kubelik, um nur einige zu nennen – die Liste der Dirigenten, mit denen die hier versammelten Aufnahmen produziert wurden, ist beeindruckend und steht für einen vielfältigen Zugang zum Werk Igor Strawinskys.
Zu bemerken ist hier zum Beispiel die zu Unrecht in Vergessenheit geratene Aufnahme von Stravinskys komischer Oper “Mavra”, die in seiner neoklassischen Schaffensperiode entstand und Tschaikowski gewidmet ist. Gennadi Rozhdhestvensky dirigierte den Einakter für diese Originalaufnahme aus der damaligen UdSSR mit dem Moscow Radio Symphony Orchestra, die 1973 von der Deutsche Grammophon übernommen und veröffentlicht wurde. Wegweisend ist etwa der “Oedipus Rex” mit dem Chicago Symphony Orchestra & Chorus unter James Levine aus dem Jahre 1993. Pierre Boulez ist mit Aufnahmen gleich vier verschiedener Orchester vertreten – mit den Berliner Philharmonikern nahm er “Symphonies of Wind Instruments” auf. Das einsätzige Werk für 24 Holz- und Blechblasinstrumente ist dem Andenken Claude Debussys gewidmet.
Ein eigenes Kapitel in dieser Box nehmen die Kammermusikaufnahmen ein, von denen die meisten Pierre Boulez mit seinem Ensemble Intercontemporian realisierte. Zudem wird Strawinskys enge Verbindung zur russischen Musik zum Beispiel in seinen Volksliedbearbeitungen und Sakralkompositionen für Chor deutlich, die hier mit dem herausragenden Netherlands Chamber Choir unter Reinbert De Leeuw zu hören sind.

Neueinspielungen und eine Erstaufnahme

Auch zu Vergleichen lädt die Edition ein, etwa des Violinkonzertes in D-Dur in zwei Aufnahmen, die weit auseinanderliegen: Anne Sophie Mutter nahm das Konzert zusammen mit dem Philharmonia Orchestra unter Paul Sacher 1987 auf, mehr als 50 Jahre später als der Geiger Samuel Dushkin. Der wiederum wurde in der 1935er Aufnahme vom Orchestra Lamoureux begleitet, das der Komponist selbst dirigierte.
Etwas sehr Spezielles hält die Bonus-CD bereit: Strawinsky hatte 1908 den “Chant funebre” im Gedenken an Rimsky-Korsakow komponiert, der 1909 einmal aufgeführt wurde und dann verloren ging. Erst 2015, nach der Veröffentlichung der ersten Strawinsky-Edtion wurde es wiederentdeckt und von dem Lucerne Festival Orchestra unter Riccardo Chailly erstmals aufgenommen. Dies ist das dritte Werk, mit dem die “New Complete Edition” erweitert wurde. Einen intensiven wie fulminanten Abschluss dieser Edition bietet die Version von “The Rite of Spring” für zwei Klaviere mit Martha Argerich und Daniel Barenboim.

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