Dass ein Komponist ein eigenes Werk in drei verschiedenen Fassungen herausbringt, ist durchaus ungewöhnlich. Genau das hat
Joseph Haydn aber mit seiner Vertonung der “
Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze” getan. Es liegen die Erstfassung für Orchester, eine Bearbeitung für Streichquartett und die oratorische Vokalfassung vor. Man liegt sicherlich nicht falsch, darin ein Zeichen besonderer Wertschätzung zu sehen.
Nun haben Frieder Bernius und der Kammerchor Stuttgart das Werk in der Vokalfassung neu eingespielt. Gemeinsam mit den Solisten und Solistinnen Anna-Lena Elbert (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Florian Sievers (Tenor) und Sebastian Noack (Bass) sowie in Begleitung der Musikerinnen und Musiker der Hofkapelle Stuttgart erreicht diese Aufnahme eine kaum zu übertreffende Emotionalität. Wolfgang Hochstein, langjähriger Herausgeber bei Carus, über das heute nicht mehr so häufig zu hörende Oratorium aus der Feder Joseph Haydns:
Jesus sprach vor seinem Tod am Kreuz noch sieben kurze Sätze
Nach biblischer Überlieferung hat Jesus vor seinem Tod am Kreuz noch sieben kurze Sätze gesprochen. Schon im Mittelalter wurden diese Aussprüche Jesu als “Septenar der Kreuzesworte” kompiliert und später sowohl dichterisch wie musikalisch bearbeitet. Ein frühes Beispiel einer solchen Bearbeitung ist das um 1500 entstandene deutsche Kirchenlied “Da Jesus an dem Kreuze stund”. Um 1645 vertonte Heinrich Schütz die “Sieben Worte” im konzertierenden Stil seiner Zeit, und weitere einschlägige Werke aus dem evangelischen Repertoire des Barock stammen von Augustin Pfleger und Christoph Graupner, komponiert um 1670 bzw. 1743.
Ein ganz anderer Entwicklungsstrang ging von jesuitischen Kreisen aus: Um 1690 hatten Missionare in Lima/Peru eine spezifische Passionsandacht über die Sieben letzten Worte Jesu Christi entwickelt. Dieser Andachtstyp wurde in den katholischen Ländern Europas alsbald rezipiert. Gedruckte Andachtsbücher beschreiben den Verlauf der Feier, die am Karfreitag um 12 Uhr begann und sich bis zur Todesstunde um 15 Uhr erstreckte; dass dabei die Jesus-Worte und ihre homiletische Auslegung von passender Musik umrahmt wurden, liegt auf der Hand. In diese von starker Volksfrömmigkeit geprägte Tradition gehört die Vertonung der “Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze” von Joseph Haydn.
Entstehung der “Sieben letzten Worte”
Die Entstehung der “Sieben letzten Worte” geht auf einen Kompositionsauftrag aus Cádiz in Spanien zurück; dieser war vermutlich im Jahr 1785 an Haydn ergangen. Mit der Zweckbestimmung war auch der Rahmen für die musikalische Ausarbeitung abgesteckt: Das Werk sollte aus einem angemessenen Vorspiel und sieben etwa gleich langen, langsamen, nichtsdestoweniger aber abwechslungsreichen Instrumentalsätzen bestehen, die als Meditationsmusik das jeweilige Jesus-Wort zu reflektieren hatten. Dass der Komponist an das Instrumentalstück zum letzten Wort noch den programmatisch-theatralischen “Terremoto” (das “Erdbeben”) angehängt und damit auf die entsprechende Schilderung im Matthäus-Evangelium Bezug genommen hat (Mt 27,51–52), ist wohl seinem eigenen Entschluss zu verdanken; auf diese Weise hat das Werk ein furioses Finale erhalten, das nicht zuletzt unter dem Aspekt musikalischer Vielfalt eine erhebliche Bereicherung darstellt.
Im 19. Jahrhundert, der Epoche der aufblühenden Chorvereinigungen, wurde die Vokalfassung gegenüber der Orchesterversion deutlich bevorzugt, während in jüngerer Zeit über ihre ästhetische Bewertung kontrovers diskutiert wurde. Ohne Frage ist es aber gerade die oratorische Bearbeitung, die sich dem Zuhörer besonders gut erschließt.