Ich fürchte, in einer Rückschau auf das vergangene Jahr kommt man um das Wort “Corona” nicht herum, denn seit März begleitet uns diese Pandemie und hat alle unsere kreativen Kräfte mobilisiert, um dem Virus zu signalisieren: mit uns nicht, wir wissen uns zu wehren und finden Alternativen! Sicher das Beste, was uns 2020 an kreativen Ideen kam, war die Einführung unserer digitalen Konzertplattform
DG Stage. Mit ihr konnten wir zum einen unsere Künstler*innen mit aktuellen exklusiven Konzerten, zumeist mit ihrem neuen Albumrepertoires, präsentieren. Zum anderen konnten wir damit ein wenig dem Fehlen von Konzerten und Opernaufführungen in unserem realen Alltag abhelfen, indem wir zum Beispiel
Puccinis “
Tosca” aus Neapel mit
Anna Netrebko,
Elīna Garančas neues Liedprogramm mit
Schumann und
Brahms oder, ganz aktuell,
Krystian Zimermans Londoner Konzerte mit den 5 Klavierkonzerten unseres diesjährigen Jubilars
Ludwig van Beethoven.
Ach ja, Beethoven, sein 250. Geburtstag am heutigen 17.12. hat uns ein ganzes Jahr lang beschäftigt und wir dürfen wirklich mit stolz geschwellter Brust verkünden: Beethoven hat seine Heimstatt auf dem Gelblabel gefunden! Angefangen von der nichts weniger als spektakulären Neueinspielung seines
Tripelkonzertes mit dem
West Eastern Divan Orchestra unter
Daniel Barenboim und
Anne-Sophie Mutter sowie
Yo-Yo Ma in ihrer zweiten Aufnahme dieses Werkes nach der Einspielung unter
Herbert von Karajan aus dem Jahr 1980! Daniel Barenboim hat sich dann anno 2020 noch in zahlreichen weiteren Einspielungen sowie einem der raren Salzburger Festspielkonzerte dem Werk Beethovens gewidmet, zum Beispiel jüngst in einer Neuaufnahme der Klaviertrios mit
Kian Soltani und
Michael Barenboim und, vor allem dies, in einer neuen, seiner mittlerweile 5. Gesamtaufnahme (sic!), der Beethovenschen Klaviersonaten! Ein anderer großer Künstler an den schwarz-weißen Tasten, der sich seit Jahr und Tag mit dem pianistischen Oeuvre des Bonner Meisters beschäftigt, ist der Pianist
Rudolf Buchbinder. Er lancierte sein “
Diabelli Project” und stellte hier den berühmten Diabelli Variationen Beethovens Zeitgenössisches gegenüber, indem er auch einen Kompositionsauftrag an 11 Komponistinnen vergab, darunter Lera Auerbach, Brett Dean, Toshio Hosokawa, Brad Lubman, Tan Dun, Jörg Widmann und
Max Richter – der zum Ende des Jubiläumsjahres noch ein ganz persönliches Werk unter dem Titel “
Beethoven – Opus 2020” beisteuerte! -, die diese Diabelli Variation auf ihre Art und Weise neu deuten sollten. Gesungenen Beethoven gab es auch, nämlich mit Bariton
Matthias Goerne und dem jungen kanadischen Pianisten
Jan Lisiecki am Flügel: exakt jene künstlerische Kooperation, die im Sommer auch einen der wenigen raren Konzert-Slots bei den diesjährigen “Salzburger Festspielen im Taschenformat” erhielt! Und der Überraschungshit des Beethoven-Jahres? Man mag es kaum glauben, aber eine Aufnahme des Symphonien-Zyklus ist ein Insidertipp zum Beethoven-Jahr geworden: “Das ist nicht
Scherchens Beethoven, es ist Beethovens Beethoven”, raunen Kenner der Materie. Ursprünglich 1951–1954 für das Westminster-Label in Mono aufgenommen, wurde der Zyklus von historischen Originalbändern neu transferiert, sorgfältig remastered und erstmals in einer Edition herausgegeben. Natürlich hat es noch viele weitere Veröffentlichungen rund um Ludwig van und seinen 250. Geburtstag gegeben, aber diese Auswahl soll hier erst einmal genügen. Wer mehr über die Deutsche Grammophon im Beethoven-Jubel-Jahr wissen möchte, der lenke seinen Cursor auf “
Beethoven 2020” und ihm wird sich die ganze Welt der Beethoven-Veröffentlichungen auf dem Gelblabel erschließen!
Wer konnte nun anno 2020 neben Beethoven und dessen titanischer Präsenz reüssieren? Allen voran der Pianist
Lang Lang und der Filmkomponist
John Williams. Während sich der eine dem zentralen Werk der Bach’schen Klavierliteratur, den
Goldberg-Variationen widmete und diese zu neuer Popularität verhalf, debütierte der andere, längst eine Legende, mit einem Sternstunden-Konzert am Pult der
Wiener Philharmoniker, wo er die Höhepunkte seines filmmusikalischen Schaffens vor einem enthusiasmierten Publikum präsentierte. An seiner Seite, wen wundert’s, Stargeigerin Anne-Sophie Mutter als special guest dieses Konzertes in zwei Stücken. Ohne Übertreibung – ein Jahrhundertereignis! Ebenfalls von epochaler Bedeutung, doch eher diskographische Vergangenheit betreffend, war die
Karl Richter Edition “Complete Recordings on Archiv Produktion & Deutsche Grammophon und Decca” auf 97 CDs und 3 Blu-Rays! Der von ihm geleitete und geformte
Münchener Bach-Chor und das
Münchener Bach-Orchester nehmen in der gesamten Diskografie einen prominenten Platz ein. Die limitierte Edition enthält Richters kompletten Bach-Kantaten-Zyklus auf CD sowie auf Blu-Ray Audio in audiophiler Qualität und 24bit/192kHz, dazu seltene Aufnahmen von Kammermusik sowie Erstveröffentlichungen von Orgelwerken Regers und Liszts. Eine Erinnerung für jene, die Richter kannten und schätzen und eine spannende Entdeckungsreise für alle, die hinter dem Namen Richter in der Aufführungsgeschichte einen Hauch Ewigkeit wittern! Elīna Garanča, längst eine der, wenn nicht die weltbeste Mezzosopranistin unserer Zeit, überrascht immer wieder, mit ihrem Repertoire ebenso wie mit ihren Aussagen zur Zeit! Widmete sie sich vergangenes Jahr noch südlichen Melodien und mediterranem Temperament, ließ sie uns in diesem Jahr, erstmals überhaupt im Aufnahmestudio!, an ihrer hohen Kunst des Liedvortrags teilhaben: Mit Liedern von Robert Schumann und Johannes Brahms, kongenial begleitet von Malcolm Martineau, verlieh sie dem arg vernachlässigten Genre des Liedes mit dieser Aufnahme neuen Schwung. Einer aus der jungen Riege von Exklusivkünstlern des Gelblabels konnte mit seiner Einspielung eines Schlachtrosses der Konzertliteratur, dem Violoncello-Konzert von
Antonín Dvořák, unter seinem Mentor Daniel Barenboim, einen veritablen Coup landen. Und das Besondere an dieser rundum gelungenen und beeindruckenden Aufnahme von
Kian Soltani: Neben dem Konzert präsentiert dieses Album auch Arrangements von Dvořák Liedern und anderen Miniaturen für solistisches Cello solo und kleines Cello-Ensemble. Einer, der in diesem verrückten Jahr seinen Anspruch auf den Pianisten-Olymp nachdrücklich untermauerte, ist der isländische Pianist
Víkingur Ólafsson. 1984 in Island geboren, ist in seiner Heimat längst eine feste musikalische Größe und wurde bereits viermal zum Musiker des Jahres gewählt. Hier wechseln sich Stücke aus
Rameaus “Pièces de clavecin” mit Stücken aus
Debussys “Estampes”, “Children’s Corner” und den beiden Préludes-Bänden ab, mit dem fantastischen Finale von Debussys “Hommage à Rameau”. Für viele vermutlich eines der klassischen Alben des Jahres! Und wenn wir schon bei Island und seinen Musikern sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als sich vor einer seiner erfolgreichsten und innovativsten Künstlerinnen zu verneigen, der wunderbaren
Hildur Guðnadóttir, die im zurückliegenden Jahr von keiner der großen Preisverleihungen zurückkehrt, ohne diesen gewonnen zu haben! Von
Grammy über
Golden Globe bis hin zum
Oscar wurde diese sympathisch-schüchterne Komponistin und Interpretin mit allem geehrt, was glänzt und funkelt in der Welt der Musikpreise! Dabei ist ihr HBO-Mini-Serien-Soundtrack auf Deutsche Grammophon, “
Chernobyl”, alles andere als ein eingängiges Schmuseerlebnis, sondern einfach nur schön schaurig. Aber auch das will gekonnt sein! Auch hier gilt nun, wie für die Beethoven-Retrospektive: wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wer mehr will, soll auch mehr bekommen: auf
Deutsche Grammophon gibt es alle Veröffentlichungen der zurückliegenden Monate eines Jahres, das es in sich hatte – musikalisch und anders sowieso!