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Serkins letzte Beethoven-Aufnahmen

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© Susesch Bayat
06.12.2023
Es ist immer wieder beeindruckend, welche Schätze in den Archiven der Deutschen Grammophon schlummern und was für Aufnahmen nach langer Zeit das Licht der Welt erblicken. Dass die DG in diesem Jahr ihren 125 Geburtstag begeht, ist ihr Anlass, sich und uns mit einer neuen Reihe zu beschenken: “The Lost Tapes”: Aufnahmen, die lange zurückliegen, manche darunter, die aus verschiedensten Gründen nicht veröffentlicht wurden, ungeachtet ihrer Qualität und der Exzellenz und Popularität der Künstler, mit denen sie entstanden.
Den Anfang macht diese neue Reihe mit den letzten Beethoven-Aufnahmen des großen Rudolf Serkin für die Deutsche Grammophon. Serkin, der am 28. März dieses Jahr 120 Jahre alt geworden wäre, starb am 8. Mai 1991. Fast am Ende seines Lebens hatte er sich entschlossen, noch einmal die beiden Klaviersonaten op. 21 und op. 23 von Ludwig van Beethoven einzuspielen. Zwanzig Jahre zuvor hatte er noch vor, den gesamten Zyklus, also alle 32 Klaviersonaten ein weiteres Mal aufzunehmen. Er ließ diesen Plan fallen und konzentrierte sich stattdessen auf die letzten drei Klaviersonaten op. 109, 110 und 111. Gerade diese Triade hatte für Serkin eine so große Bedeutung, dass er sie mehrfach einspielte und sie Mitte der Achtziger Jahre in den Mittelpunkt seiner öffentlichen Auftritte stellte, bevor er sie im Oktober 1987 schließlich im Wiener Konzerthaus noch einmal aufnahm. Sie galten lange als seine letzten Beethoven-Aufnahmen. So lange, bis schließlich Judith Serkin, Cellistin und Tochter Rudolf Serkins sich entschloss, zwei Aufnahmen ihres Vaters freizugeben, die der Musikwelt bis dahin vorenthalten geblieben waren: die Klaviersonate Nr. 21, op.53, auch als “Waldstein”-Sonate bekannt – Rudolf Serkin hatte sie bereits im Frühjahr 1986 eingespielt – und die Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57, die “Appassionata”, eines von Beethovens bekanntesten Klavierwerken. Diese Aufnahme entstand im Sommer 1989, knapp zwei Jahre vor seinem Tod.

Akribie und Genauigkeit

Zu diesem Zeitpunkt war er schon zu krank, um noch ernsthaft über eine Freigabe der Aufnahmen zu entscheiden. Das wird niemanden verwundern, der um Serkins generelle Skepsis gegenüber über Plattenaufnahmen und um seine Akribie und die Genauigkeit weiß, mit der er zu arbeiten pflegte. Sein Sohn, der Pianist Peter Serkin erzählte, dass sein Vater auch auf Klavieren geübt habe, die eigentlich kaum spielbar gewesen seien – um bei den Konzerten auf jede Eventualität, etwa die eines schlechten Flügels, vorbereitet zu sein. Was helfe einem Pianisten alles Gefühl beim Musizieren, wenn man beim G-Dur Konzert von Beethoven keinen gleichmäßigen Triller hinbekomme…
Und so wie die Beherrschung des Handwerks Serkin als Voraussetzung für das Musizieren überhaupt galt, so war für ihn der vom Komponisten geschriebene Notentext unumstößlich. Den erarbeitete er sich akribisch, oft aus den Faksimiles der Urschriften der Komponisten. Serkins immer wieder geäußerte Befürchtung war, “…nicht gut genug zu spielen und die Wünsche des Komponisten nicht ausreichend zu respektieren”.

Tiefes Verständnis für Menschlichkeit

Natürlich hatte Serkin beide Werke in seiner langen Pianisten-Karriere etliche Male erarbeitet, aufgeführt und eingespielt – für seine erste Studioaufnahme mit Klaviersolowerken im Jahr 1936 wählte er gar die “Appassionata”! Aber es war eben diese Sorge Grund genug für Serkin, einige Aufnahmen, wie auch die jetzt vorliegende “Waldstein”-Sonate und die “Apassionata” nicht zur Veröffentlichung freizugeben.
Die Aufnahmen, sagt Judith Serkin, seien nicht “perfekt”.  Dennoch verdienten sie, geteilt zu werden, mit anderen Menschen, offenbarten sie doch “Beethovens wie auch Rudolf Serkins tiefes Verständnis dafür, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.” 
Die jetzt erschienen “Lost Tapes” mit beiden Aufnahmen sind beeindruckendes Zeugnis dieser musikalischen und menschlichen Haltung. 

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