Es mutet wie ein Geniestreich an, dass Katharina Wagner, die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Bayreuther Festspiele, ausgerechnet bei Barrie Kosky anklopfte. Die Urenkelin des großen Komponisten scheint geahnt zu haben, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Meistersingern das beste Ergebnis verspricht. Dass Koskys Aufführung dann zu einem “Triumph” (Berliner Morgenpost) geriet, hätte wahrscheinlich aber auch sie nicht für möglich gehalten.
Denn er hat lange mit sich gerungen. Warum sollte ausgerechnet er, Barrie Kosky, bekannt für unkonventionelle Theater- und Operninszenierungen, die umstrittenste und am meisten traditionsbehaftete Oper Richard Wagners auf die Bühne bringen? Was hatte sich Katharina Wagner dabei gedacht? “Ich habe acht Mal in meinem Leben Wagner inszeniert”, so Barrie Kosky über seine inneren Widerstände, “ich bin fertig mit dem Mann. Und dann soll ich als australischer Jude in Bayreuth das problematischste aller Wagner-Stücke machen – nein!”
“Die Meistersinger von Nürnberg”: Koskys spannungsvolle Haltung
Doch so sehr er sich auch sträubt: Die Anfrage von Katharina Wagner arbeitet in ihm. Wahrscheinlich ist Kosky einfach zu neugierig, um sich dem spontanen Gefühl der Abneigung zu überlassen und seine Entscheidung daran auszurichten.
Zwar ist ihm Wagners prophetische Rede von den Seelentiefen der deutschen Kunst ziemlich fremd. Außerdem denkt er, dass die Deutschen sich selbst mit ihrer unheilvollen Kulturmission befassen sollten. Zugleich spürt er jedoch einen doppelten Boden, als er sich erneut mit den Meistersingern zu beschäftigen beginnt. Das ändert allmählich seine Haltung. Hass verwandelt sich in Interesse und schlägt schließlich sogar in Bewunderung für diese Oper von Richard Wagner um.
Gefeierte Aufführung: Wagners doppelter Boden
Und so kam es doch dazu: Kosky konnte seine innere Spannung fruchtbar machen. Er speiste Wagners dramatische Größe und den antisemitischen Abgrund des Komponisten gleichermaßen ins Bühnengeschehen ein. Beckmesser, den Wagner als kleinkarierten Juror entwarf, stattet Kosky mit subtilen Persönlichkeitsmerkmalen aus und stellt ihn als verkannten Juden auf die Bühne.
Johannes Martin Kränzle singt den reizvollen Außenseiter mit viel Ironie und Charme.
Michael Volle glänzt mit einem “eloquenten Sachs” (New York Times), der bei Kosky deutlich Wagners Züge trägt. Äußerst subtil schließlich:
Günther Groissböck mit einem “bemerkenswert feinen Pogner” (The Guardian). Barrie Kosky spart nicht mit Anspielungen auf den Nationalsozialismus und die fatale Rolle, die Wagners Phantasien über Nürnberg und die Größe der deutschen Kunst in der Geschichte spielen sollten.
Die Meistersinger können heute, 150 Jahre nach ihrer Uraufführung, nicht mehr bruchlos, mit bombastischem Pathos inszeniert werden. Dem trägt auch der feine, zurückgenommene Ton Rechnung, den Philippe Jordan dem Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele abnötigt. So gelingt eine für das 21. Jahrhundert gültige Aufführung der Meistersinger.
Jetzt erscheint diese hochgelobte Produktion, die ab 28. Juli 2018 wieder bei den Bayreuther Festspielen zu erleben sein wird, auf DVD/Blu-ray.