Es gibt kaum ein Foto, auf dem Dmitri Schostakowitsch lächelt. Er war ein ernster Mensch und er ist dazu gemacht worden. Spätestens von der “4. Symphonie” an, in der er auf bedrückende Weise bereits 1936 die Katastrophen der folgenden Jahre musikalisch prophezeite, war der junge, enthusiastische Mann verschwunden, der lustige Kinderwalzer und unbedarfte Melodien schreiben konnte. Es war auch der Kampf mit der Terrormaschinerie Josef Stalins und damit letztlich um das eigene Überleben und das seiner Freunde und Familie, der Schostakowitsch zu einem der größten Dramatiker in der Geschichte der Symphonik machte. Der Musikfilmspezialist Larry Weinstein ging bereits vor einem Jahrzehnte im Auftrag unter anderem von Arte und dem ZDF dieser tragischen Beziehung auf den Grund. Nun ist seine bewegende Dokumentation “Shostakovich against Stalin – The War Symphonies” auf DVD erschienen.
Für Larry Weinstein war es eine seiner bislang größten Herausforderungen: “Die meisten Musikfilme, die ich gemacht hatte, waren in hohem Maß Kunst um der Kunst willen … aber dies war ein ganz anderes Thema, höchst politisch und auch höchst emotional. Ich wusste, wie stark das Thema die in diesem Film interviewten Menschen berührte. Aber ich war nicht auf die Reaktion auf den Film vorbereitet; denn als er beim Festival Goldenes Prag vor vielen Besuchern gezeigt wurde, die in den früheren Sowjetrepubliken gelebt hatten, war der Widerhall überwältigend. Einzelne Personen, denen ich nie zuvor begegnet war, schluchzten und erzählten mir, dass dies ihre Geschichte war”. Weinstein hatte den Nerv des Themas gefunden, denn er hatte sich weitgehend der offensichtlichen Beurteilung enthalten. Seine Vorgehensweise setzte auf Originalität, auf die Authentizität der vielen Zeitzeugen aus dem Umkreis des russischen Komponisten, die er Mitte der Neunziger noch hatte zu Wort kommen lassen können. Außerdem hatte er in Valery Gergiev einen prominenten und kompetenten musikalischen Begleiter des Projektes. Denn der russischen Dirigent gehört zu den Spezialisten in Bezug auf die kulturellen Überlieferungen seiner Heimat und hat sich nicht zuletzt die Pflege der Werke von Schostakowitsch aus die Fahnen geschrieben.
So war von Anfang an das künstlerische Niveau der Dokumentation auf dem höchsten Level. Gergiev steuerte mit verschiedenen Orchesterproben und Konzertaufnahmen den musikalischen Rahmen bei, stand außerdem als Kommentator zu Verfügung. Dazu kamen Freunde, Künstler, Kritiker der Generation von Schostakowitsch, die sich an viele verblüffenden und zuweilen erschreckende Details seines Lebens erinnern konnten. Vor allem aber kombinierte Weinstein die Klänge der Symphonien vier bis neun, sie zu Lebzeiten Stalins entstanden, mit umfangreichen historischen Filmdokumenten, die zum einen den politischen und gesellschaftlichen, zum anderen den ästhetischen Gehalt der Kompositionen im Kontrast zur Musik andeuten. Die Dokumentation ist daher Dreierlei gleichzeitig: eine Chronologie der Ereignissen im Leben des Komponisten während der Jahre seiner produktivsten und zugleich noch immer umstrittenen Schaffenskraft; eine Darstellung eines ungewöhnlich vielseitig Werkes, das in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts keine Entsprechung hat; und nicht zuletzt auch eine Typologie des Schreckens am Beispiel einer barbarischen Diktatur, die Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Dabei gelingt Weinstein eine besondere Intensität der Botschaft, indem er historische Bilder etwa aus dem hungernden Leningrad mit der todtraurigen sieben Symphonie kombiniert, den Vormarsch der stalinistischen Truppen mit der dramatischen Achten oder die Trauerzüge zu Stalins Begräbnis mit der erst nach dessen Tod aufgeführten vierten Symphonie verknüpft. Dadurch bekommen Musik wie Filmausschnitte eine suggestive Kraft, die sowohl die möglichen Gedanken im Kopf des Komponisten wie auch die der ergriffenen Besucher der Aufführungen der Dokumentation nachvollziehbar machen. Ergänzt um 70 Minuten Konzertaufnahmen Gergievs mit dem Kirov Orchestra und dem Rotterdam Philharmonic Orchestra entsteht auf diese Weise ein ungewöhnliches Portrait, das wenige Monate vor dem 100.Geburtstag Schostakowitschs im September dessen Bedeutung als Visionär und verborgener Kämpfer für die Menschlichkeit vor Augen führt.