Kammermusik lebt von Dialogen, von der direkten Bezogenheit der ausführenden Künstler aufeinander. Dazu gehören auch Spannungen. Aber sie müssen eingebettet sein in eine grundlegende menschliche und musikalische Harmonie. Wenn unter Kammermusikern die Chemie nicht stimmt, dann können sie nicht sinnvoll miteinander musizieren.
Blindes Vertrauen: Das Duo Gazzana
Geschwister erleben natürlicherweise beides: Urvertrautheit und Spannungen. Bei den einen überwiegt ersteres, bei den anderen letzteres. Wie es sich bei den Geschwistern Gazzana darstellt, ist leicht zu ersehen. Natascia (Geige) und Raffaella (Klavier) leben ihre Urvertrautheit und ziehen daraus schöpferische Energien. Geboren in Sora in der Nähe von Rom, musizierten sie bereits in ihrer Kindheit zusammen. Deshalb weiß die eine stets, was die andere tut.
Wenn Natascia eine bestimmte Phrase auf der Geige spielt, dann kann sie innerlich schon antizipieren, wie Raffaella am Klavier darauf reagieren wird. Seit Mitte der 1990er Jahre bilden die beiden das Duo Gazzana, das bei ECM New Series bereits mit zwei vielbeachteten Alben auf sich aufmerksam machen konnte. Konzentrierten sie sich in diesen beiden Veröffentlichungen auf Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts (Schnittke, Silvestrov u.a.), so blicken sie in ihrem neuen Album ein wenig weiter in die Musikgeschichte zurück.
Mit César Francks Sonate für Klavier und Geige in A-Dur von 1886 und Maurice Ravels posthum erschienener Sonate in a-Moll aus dem Jahre 1897 erkunden sie französische Akzentsetzungen in der Kompositionskunst zwischen Romantik und aufkeimendem Impressionismus. Nach diesem Ausflug ins Fin de Siècle wenden sie sich mit Werken von Olivier Messiaen und György Ligeti Literatur des 20. Jahrhundert zu. Den Mittelpunkt des neuen Albums bildet aber zweifellos die monumentale Sonate von César Franck.
Musikalische Wechselwirkungen: Romantische und neuere Klangpoesie
Ihre melodische Schönheit und dialogische Anlage fügt sich gut in die Spielkultur des Duos Gazzana, können die Geschwister hier doch ausgezeichnet das kantable Moment ihrer italienischen Prägung und die harmonische Vertrautheit ihres Musizierens zur Geltung bringen. Das Werk fließt denn auch mit natürlicher Wärme. Die dialogischen Momente von Klavier und Geige wirken organisch aufeinander bezogen. Von Franck ausgehend, „versuchten wir“, so das Duo, „musikalische und historische Verbindungen ausfindig zu machen“.
Ravels posthum erschienene Sonate drängt sich da auf, liegt sie doch zeitlich und räumlich nah an Francks Werk und zehrt, wenngleich sie die Tonalität schon diskret aufweicht, noch deutlich von romantischen Klang- und Sehnsuchtsidealen des 19. Jahrhunderts. Wie fügen sich dann aber die Werke von Messiaen und Ligeti in dieses Programm? Auch ihre Kompositionen sind, wie das Werk von Ravel und die von Franck schon früh konzipierte Sonate, Jugendwerke.
In Ligetis frühem Duo für Klavier und Geige (1946), einer mit folkloristischen Anleihen gespickten Trouvaille, die auf diesem Album in einer Ersteinspielung erklingt, erlebt man das Duo Gazanna wieder in seinem kantablen Element. Dagegen offenbart sich in Messiaens „Thème et Variations“ (1932) eine hochgespannte, mystische Tonpoesie der Moderne, auf die sich die Geschwister nicht minder geschickt verstehen. So bindet das Duo Gazzana ein Programm zusammen, das bei aller klanglichen Vielfalt stets spürbare Synergien aufweist.