Im Jahr 2000 debütierten András Schiff und Yuuko Shiokawa als Duo in der New Series von ECM. Damals widmeten sie sich der komplex verzweigten C-Dur-Fantasie für Violine und Klavier (D 934) von Franz Schubert und gaben sich jedem poetischen Detail dieser visionären Komposition genussvoll hin. Das Londoner Musikmagazin „Gramophone“ erkannte darin einen „Hauch von Magie“, und jener magische Zauber der Aufnahme weckte zusammen mit deren Publikumserfolg die Hoffnung, dass das Duo bald weitere Veröffentlichungen folgen lässt.
Doch Schiff und Shiokawa ließen sich Zeit. Erst 2017 traten der Pianist und die Geigerin, die sich beim Kammermusikfest Lockenhaus im Burgenland kennen und lieben gelernt hatten, mit ihrem zweiten gemeinsamen ECM-Projekt hervor, diesmal mit Werken von Bach, Busoni und Beethoven. Jetzt ist ihre dritte Kooperation in der New Series erschienen.
Drittes Gemeinschaftsprojekt
Und wenn das erste Gemeinschaftsprojekt der beiden Solisten vor allem durch seine romantische Aura bestach und das zweite durch seine Präzision und den harmonischen Farbenreichtum, so wirkt das dritte wie eine Synthese aus all ihren musikalischen Tugenden und virtuosen Fertigkeiten. Das Repertoire, das sie präsentieren, eignet sich indes auch gut, um ein breites und kontrastreiches Spektrum an Fähigkeiten zur Geltung zu bringen.
Mit der Violinsonate Nr. 1 in G-Dur (op. 78) von Johannes Brahms, auch bekannt unter dem Namen „Regenliedsonate“, und Robert Schumanns Violinsonate Nr. 2 in d-Moll (op. 121) erklingen zwei kammermusikalische Preziosen der musikalischen Romantik, die in ihrer poetischen Anlage kaum unterschiedlicher sein könnten. Die Violinsonate von Brahms, sein erstes Werk in der Besetzung für Klavier und Geige, ist von seltsam schwebender Art.
Sie ist reich an originellen Melodien und scheint schier endlos zu fließen, ohne je an irgendeinem Punkt zur Ruhe zu kommen. Bei Schiff und Shiokawa nimmt das Werk, das der Komponist in den Jahren 1878/79 schuf, impressionistische Züge an. Die beiden laden die Zuhörerinnen und Zuhörer mit diskreten Gesten ein, sich auch fallen zu lassen, mitzuschwingen und mitzutanzen.
Klangliche Reife und plötzlicher Furor
Die Stimmung bleibt indes merkwürdig unentschieden zwischen Melancholie und Zuversicht. Aber gerade darin liegt der Reiz dieser Sonate, deren Balanceakt Schiff und Shiokawa in vollendeter Eleganz vollziehen. Schumanns Violinsonate in d-Moll aus dem Jahr 1851 verlangt eine vollkommen andere Herangehensweise. Das Werk ist eher introvertiert. Es führt auf verlassene Pfade und birgt eine rätselhafte Spannung. Schiff und Shiokawa bauen diese Spannung allmählich auf. Ungewöhnlich im Vergleich zu vielen anderen einschlägigen Aufnahmen ist, wie viel Zeit sie sich zu Beginn nehmen, bevor sie plötzlich fulminant beschleunigen. Aber genau so steht es in der Partitur: „Ziemlich langsam – lebhaft“.
Über die ganze Sonate spürt man, dass irgendetwas heraus muss, jedoch noch nicht heraus kann. Im zweiten Satz deutet es sich diskret an. Doch erst gegen Ende des viertes Satzes bricht es sich Bahn. Schiff und Shiokawa performen die Spannungsentladung mit energetischer Virtuosität.