Er gilt als einer der größten Komponisten Lateinamerikas. Schon heute wird er in einem Atemzug mit dem legendären Pionier der Tango-Erneuerung, Astor Piazzolla, genannt. Dabei reicht
Saluzzis Wirkungskreis weit über den Tango Nuevo hinaus. Schon ein Blick in seine umfangreiche
ECM-Discographie offenbart, wie vielschichtig dieser Künstler ist. Das Spektrum reicht von Kompositionen für Streichquartett über Duos für Bandoneon und Cello bis hin zu Orchesterwerken. Sein mit dem
Rosamunde Quartett realisiertes Album “
Kultrum” (1983/2008)
ist ein Klassiker, und die Aufnahmen mit der Cellistin
Anja Lechner in “
Ojos Negros” (2007) oder
Navidad de los Andes (2010), hier als Trio mit dem Saxofonisten und Klarinettisten
Felix Saluzzi, lösten bei Publikum und Kritik regelrechte Begeisterungsstürme aus.
Großer Brückenbauer
Dino Saluzzi besaß seit jeher die Gabe, Brücken zu bauen, und er hat sie genutzt, um den Tango mit modernen Jazzharmonien, kühner Improvisationskunst und komponierter Kammermusik zu verbinden. Der Vorteil dieser Verbindungen: Sie funktionieren in beiden Richtungen, und so hat die Mittlerposition von Saluzzi keineswegs nur den Tango befruchtet, sondern auch dem Jazz und der Neuen Musik starke Impulse gebracht. Für Dino Saluzzi, der 1935 im Nordwesten Argentiniens geboren wurde und das musikalische Handwerk noch in seiner Familie erlernte, sind die Trennungen in unterschiedliche Musikstile ohnehin künstlich. Die Musik existiert nicht im Plural. Sie ist unteilbar und kann nur um den Preis der Freiheit in unterschiedliche Universen zergliedert werden. Saluzzi wollte diesen Preis nicht zahlen. Er hätte es auch gar nicht gekonnt, denn das Wesen seiner musikalischen Persönlichkeit ist die Integration, die Verbindung unterschiedlicher Elemente.
Romantische Unbefangenheit
Diese Verbindung geschieht bei Dino Saluzzi nicht willkürlich. Seine Musik ist kein wildes Gemisch aus Zutaten, die nicht zusammenpassen. Bei Saluzzi fügen sich die Dinge. Darin besteht seine künstlerische Größe. Einfache Melodien verbinden sich mit vielschichtigen Harmonien, tänzerische Ekstasen gehen organisch in meditative Episoden über und das improvisierte Spiel wechselt sanft mit komponierten Passagen ab. Saluzzis Musik ist wie das Leben selbst: Phasen der Ruhe sind nötig, um wieder durchzustarten, und melancholische Stimmungen bereiten manchmal den Boden für tänzerische Leichtigkeit. Dass Saluzzi dabei trotz aller Differenziertheit, Modernität und Erneuerungskraft keinerlei Angst vor Pathos und Einfachheit hat, kommt schließlich auch seinen Klavierkompositionen zugute, die jetzt erstmals, pünktlich zu seinem 80. Geburtstag, bei ECM erscheinen.
Prächtige Klangfarben
Das Album “
Imágenes. Music for piano” enthält Klavierwerke, die er zwischen 1960 und 2002 komponiert hat. Der poetische Charme des Klaviers hat ihn schon früh angesprungen, und dass ihm das Instrument liegt, darüber kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Saluzzi reizt seine improvisatorische und poetische Begabung am Klavier voll aus. Dazu schmiegt er sich geschickt romantischen und impressionistischen Klangwelten an. Seine Klavierkompositionen gemahnen ebenso an
Schumann und
Chopin wie an
Ravel und
Debussy. Verkürzt ließe sich sagen: Der poetische Stoff ist romantisch und die klangliche Ausarbeitung impressionistisch.
So wie in Imágenes (2001), das den Titel des Albums inspirierte. Das Stück beginnt wie ein zartes Impromptus von Chopin und wird dann mit prächtigen Klangfarben à la Debussy ausgemalt. Experimenteller wirkt hingegen Montañas (1960), in dem es heftig rumort. Pianist Horacio Lavandera, der die Aufnahmen gemeinsam mit dem Komponisten in Angriff nahm, setzt hier das Pedal großzügig ein. Durch den Hall entstehen geröllartige Klänge, die einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Aber auch in modern vibrierende Stücke webt der Komponist warme, melancholische Träumereien ein. In Romance (1994) erzielt er mit diesen Mitteln die stärkste Wirkung. Hier entfaltet er mit berührender Einfachheit eine verliebt anmutende Melodie, die schier hinreißend ist. Da ist es geradezu beruhigend, wenn später mit dem still fließenden Claveles (1984) wieder Entspannung einsetzt. Das Wechselspiel von intensiver Emotionalität und meditativer Entspannung ist eines der Hauptkennzeichen dieses Albums, mit dem Dino Saluzzi die zeitgenössische Klavierliteratur genial bereichert.