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Mystische Avantgarde – Entrückte Klangwelten von Alexander Knaifel

Alexander Knaifel
Arseny Knaifel / ECM Records
18.04.2018
Alexander Knaifel ist ein Rätsel. Seine Musik besitzt ohne Zweifel erkennbare Muster, aber sobald man sie zu dechiffrieren sucht, entziehen sie sich. Man könnte von Stille sprechen. Man könnte auch sagen: dichte, konzentrierte Klangwelten, die tranceartige Stimmungen auslösen. Es wäre nicht unbedingt falsch. Aber nichts davon passt wirklich. Alles bleibt eigentümlich unbestimmt, und das liegt keineswegs an dem unvermeidlichen Spalt zwischen Musik und Sprache, zumal Knaifel just auf diesem Feld zahlreiche Brücken geschlagen hat.      
Nicht zu fassender Mystiker: Alexander Knaifel
Die natürliche Musikalität der Worte spielt eine nicht unerhebliche Rolle in seinem Schaffen, wenngleich auch diese Aussage postwendend mit einem Fragezeichen versehen werden sollte, denn Alexander Knaifel hat auch starken Spannungen zwischen Musik und Sprache Ausdruck verliehen. Wie man es auch dreht, man bekommt den russischen Komponisten nicht zu fassen, es sei denn, man zieht die Unfassbarkeit der Musik selbst, ihre rätselhafte Schönheit ins Kalkül und öffnet sich ihr.   
Dann kann man sich mit Alexander Knaifel auf eine Klangreise begeben, die an überraschenden Wendungen keine Wünsche offen lässt und zugleich doch eigentümlich zielorientiert ist. Dazu bietet sein soeben erschienenes New Series-Album reichlich Gelegenheit. Es beginnt mit einem erhabenen Chorgesang, der von sehr weit her zu kommen scheint und Gefühle einer stillen Andacht hervorzurufen versteht. Der Lege Artis Choir schreitet unter der Leitung von Boris Abalian mit ehrfurchtsvoller Sanftheit voran.    
Weltliche Intermezzi: Vom Reiz der Komik
Nach diesem “Gebet zum Heiligen Geist”, so der Untertitel des Chorwerks “Comforter” (“Tröster”), geht es auf eine verrückte Tee-Party. Das Stück für Klavier solo beginnt mit einer einstimmigen, melancholisch-verträumten Melodie. Oleg Malov scheint viel Pedal einzusetzen. Der Töne hallen stark nach, so dass zunächst eine lyrisch fließende Trance-Atmosphäre entsteht, bevor nach dem allmählichen Verstummen der Melodie plötzlich eine Folge von Akkorden durch den Raum schwirrt und einen grotesken Tanz anstimmt.
Die beißende Komik wirkt. Man lacht prompt los. Es ist, als ob man auf der falschen Party gelandet wäre und unversehens in ein absurdes Tanzgeschehen hineingeraten ist. Mit “Bliss” geht es beschwingt weiter. Die Sopranistin Tatiana Melentieva singt unter der Klavierbegleitung von Oleg Malov in heiter-verspielter Manier Verse von Alexander Puschkin. Nach diesen eher weltlichen Intermezzi, die eine gewisse surreale Note nicht verbergen können, wird es mit zwei Stücken für Kavier solo wieder stiller, gesammelter.
Magischer Abschluss: Märchenhaftes Geflüster
Mit dem eindringlich betenden, von Oleg Malov am Klavier begleiteten Gesang des Bassisten Piotr Migunov und dem im darauffolgenden Track erneut zu erlebenden, ätherisch-mystischen Gesang des Lege Artis Choir geht es wieder in religiöse Gefilde, bevor das Album mit dem titelgebenden “Lukomoriye”, das sind farbtupfernde Klavierklänge zu märchenhaftem Geflüster, magisch abschließt. Die Kompositionen und Neubearbeitungen auf diesem Album umfassen den Zeitraum 1995 bis 2014. Damit öffnet sich der Blick auf eine ganze Reihe höchst rätselhafter und unterschiedlicher Klangschönheiten, die Alexander Knaifel auf seinem mystischen Grenzgang entdeckt hat.       

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