1932 war ein bedeutsames Jahr für das sowjetische Volk, denn zum 15. Mal jährte sich die große Oktoberrevolution. Unglücklicherweise war das Moskauer Bolschoi-Theater mit seinen Vorbereitungen für die Feierlichkeiten derart spät dran, dass die Zeitungen bereits hämische Kommentare veröffentlichten. Eilends wurde Dmitri Schostakowitsch im März beauftragt, eine neue Oper mit dem Titel “Die Lösung” nach einem Libretto des bekannten Dichters Demian Bedny zu schreiben. Gerade hatte der junge Komponist den zweiten Akt seiner Oper “Lady Macbeth von Mzensk” vollendet. Zudem arbeitete er an weiteren Produktionen für die 15-Jahresfeier, eine musikalische Komödie für das Leningrader Theater und eine Filmmusik.
Oper über den Aufstieg und Fall eines Menschen-Affen
Nachdem Librettist Bedny den Auftrag im Mai überraschend zurückgegeben hatte, wandte sich das Bolschoi an den Dichter Alexei Tolstoi und dessen Assistenten Alexander Starchakow. Nach dem Modell von Bulgakows Novelle “Das Hundeherz” und Majakowskis satirischem Drama “Die Wanze”, für das Schostakowitsch bereits eine Begleitmusik verfasst hatte, schlug das Autorenduo eine doppelbödige, phantastisch-utopische “Satire über die burgeoise Presse” mit Science Fiction-Elementen vor. Ihr Librettoentwurf “Orango” handelt vom Aufstieg und Fall des Jean Or, einem Pressemagnaten und virulenten Anti-Kommunisten, der einst im Labor durch die Befruchtung eines Affenweibchens mit menschlichen Spermien geschaffen wurde.
Klavierfassung für den Prolog zu “Orango”
Schostakowitsch, für seinen Hang zum Grotesken bekannt, fand den Stoff anregend. Und im Sommer 1932 komponierte er die Musik für den Prolog zu “Orango” als Klaviersatz mit Gesangsstimme. Aufgrund der gebotenen Eile bediente sich der Komponist dabei Materials aus früheren Arbeiten. Erneut nutzte er etwa die Ouverture und das Finale seines Balletts “Der Bolzen” sowie Versatzstücke aus der musikalischen Revue “Der bedingt Ermordete”. Zugleich entwickelte er originelle neue Ideen mit stilistischen Ähnlichkeiten zum dritten und vierten Akt seiner “Lady Macbeth” und Elementen, die auf den Schlusssatz der Vierten Symphonie vorausweisen.
Rekonstruktion eines verloren geglaubten Werks
Doch das Projekt wurde nie realisiert. Die Gründe bleiben unklar. Es ist sicher, dass Tolstoi und Starchakow das Libretto nie vollendeten. Und womöglich waren dem Bolschoi doch Zweifel an der Angemessenheit des makabren Werks für die 15-Jahrfeier gekommen. Erst 2004 entdeckte Musikwissenschaftlerin Dr. Olga Digonskaya Schostakowitschs Manuskript mit dem Prolog zu “Orango” im Moskauer Glinka-Museum. Im Auftrag der Witwe des Komponisten Irina Antonowna Schostakowitsch erstellte Gerard McBurney nach der Klaviervorlage eine Partitur für Orchester und Gesangsstimmen von 40-minütiger Gesamtlänge.
Unter der musikalischen Leitung von Schostakowitsch-Experte Esa-Pekka Salonen brachte das Los Angeles Philharmonic 2010 erstmals den rekonstruierten Prolog zu “Orango” gefolgt von der Vierten Symphonie Schostakowitschs zur Aufführung. Deutsche Grammophon präsentiert nun die Aufnahme der sensationellen Weltersteinspielung dieses Werks aus der noch nicht von politischem Zwang, Angst und Krankheit überschatteten Schaffensphase des Komponisten.