Schneller kann man kaum zur Sache kommen. Schon nach wenigen Takten hat Felix Mendelssohns Violinkonzert den Hörer gefangen, ihn beinahe schon überrumpelt mit seiner Direktheit, nichts zurückzuhalten von den Passionen, die einen Menschen erfüllen können. Es ist Kunst, meint Anne-Sophie Mutter, „die alles vereint, was große Musik ausmacht: Leidenschaft, Virtuosität, Reinheit des Ausdrucks, Tiefe der Empfindung, bedingungslose Hingabe an den musikalischen Ausdruck. Es ist ein Geniestreich, diese Musik ist unsterblich". Und sie braucht jemanden wie Anne-Sophie Mutter, um ihr den ganzen Zauber zu entlocken. Zusammen mit dem „Klaviertrio Nr.1 in d-moll, op.49″ und der „Violinsonate in F-Dur" ist es der Beitrag der Weltklassegeigerin zum Mendelssohn-Jahr, sowohl als CD-Edition wie auf DVD, dort ergänzt um die Dokumentation „Encounters with Mendelssohn", eine faszinierende Verbeugung voller Kraft und Schönheit.
Felix Mendelssohn-Bartholdy passt nicht in das Bild des weltfernen Künstlers, der sich seine Werke im Angesicht des stimulierenden Leides abgewinnt. Denn er hatte sein (allerdings kurzes) Leben lang Glück. Am 3.Februar 1809 in Hamburg geboren gehörte er zu einer musisch und kulturell interessierten, reichen Familie und war mit Talenten überreich gesegnet. Er wurde wie seine drei Geschwister umfangreich und gründlich in Wissenschaft und Kunst unterrichtet. Mendelssohn übersetzte flüssig Griechisch und Latein, schrieb inspirierte Prosa und Gedichte, zeichnete und malte bemerkenswert, spielte virtuos Klavier und verschiedenen Saiteninstrumente. Er dirigierte Zeitzeugen zufolge charismatisch, war in Musik und Literatur seiner Ära bewandert, außerdem pflichtbewusst, seriös, verlässlich. Seine Kindheit verlief glücklich und sorgenfrei, er liebte seine Familie und verehrte vor allem seinen Bruder Paul (der sich nach dem frühen Tod des Komponisten 1847 sorgfältig um die Pflege des künstlerischen Nachlasses kümmerte).
Mendelssohn Romantik hat daher nichts mit dem Monomanie eines Liszt und Berlioz, nichts mit der Dunkelheit eines Schubert oder Brahms, nichts mit dem Geniegedanken eines späten Beethoven zu tun. Sie gründete vielmehr im tief empfundenen Protestantismus, in dessen Perfektionismus und Pflichtversessenheit, die ihn sich regelrecht zu Tode schuften ließ, von der Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs über sein sozialen Engagement bis hin zu den zahlreichen zusätzlichen Aufgaben etwa als Leiter des Gewandhausorchesters, die er über seine Künstlertum hinaus wahrnahm. Felix Mendelssohn taugt daher kaum für Mythologisierungen, umso mehr aber für intensive Beschäftigung mit der Vielfalt seines Oeuvres. Und es hat einige der Höhepunkte der klassischen Musikgeschichte überhaupt geschaffen, allen voran das „Violinkonzert", das 1845 für den befreundeten Geiger Ferdinand David komponiert hatte und das nach wie vor alles von einem Interpreten verlangt. Mit Blick auf den dritten Satz des Werkes meint Anne-Sophie Mutter: „Diese Dahinhuschende, Entschwebende, Geisterhafte ist enorm virtuos und diese Leichtigkeit eine Herausforderung für jeden Instrumentalisten".
Mutter meistert Mendelssohns „Geniestreich" natürlich mit betörender Brillanz, unterstützt von Kurt Masur und dem famosen Gewandhausorchester. Aber es ist nicht nur das Violinkonzert, mit dem sie sich dem Komponisten nähert, sondern auch dessen Kammermusik in Form des ersten Klaviertrios und der F-Dur Violinsonate von 1838. In beiden Fällen steht ihr früherer Ehemann André Previn am Klavier zur Seite, im Fall des Trios außerdem ergänzt um den Cellisten Lynn Harrell, der durch das elegante Zusammenwirken der beiden Streicherstimmen gemeinsam mit Mutter dazu beiträgt, dass die latente Dominanz des Klavierparts in gleichberechtigte Gestaltung sich verwandelt. Im Ganzen kann auf diese Weise eine Mendelssohn-Hommage heranwachsen, die exemplarisch auf höchstmöglichem Niveau einem der größten Komponisten des 19.Jahrhunderts die Referenz erweist. Eben ganz, wie man es von Anne-Sophie Mutter und ihren Aufnahmen erwartet – und im kommenden Mai auch live erleben kann. Denn dann wird sie Mendelssohns Konzert auch mehrfach auf deutschen Bühnen präsentieren.
Tourtermine von Anne-Sophie Mutter:
14. Mai. 09 Baden-Baden, Festspielhaus Mendelssohn
21. Mai 09 Berlin, Philharmonie Mendelssohn
23. Mai. 09 Hamburg, Laeiszhalle Mendelssohn
25. Mai 09 Köln, Philharmonie Mendelssohn
26. Mai 09 Düsseldorf, Tonhalle Mendelssohn
16. Jun. 09 Essen, Philharmonie Mozart, Previn, Ravel
17. Jun. 09 Ludwigsburg, Forum am Schlosspark Mozart, Previn, Ravel
18. Jul. 09 Lübeck, MuK – Musik- und Kongresshalle Brahms, Conductor: Christoph Eschenbach
19. Jul. 09 Kiel, Schloss Brahms, Conductor: Christoph Eschenbach
30. Mai. 09 Dresden, Kulturpalast Mendelssohn-Violinkonzert
31. Mai. 09 Dresden, Kulturpalast Mendelssohn-Violinkonzert