Wer an Heiligabend 1965 zur Weihnachtsmesse in die Münchner Auferstehungskirche ging, konnte ein kleines Wunder erleben. Denn unangekündigt hatten sich Fritz Wunderlich und Hermann Prey eingefunden, zwei der renommiertesten Sänger des Landes, um ein Versprechen einzulösen, das Wunderlich dem Pfarrer des Hauses wenige Monate zuvor gegeben hatten. Es entstand einer dieser großartigen Momente, wovon Menschen noch Jahre später schwärmten. Und es wurde auch der Auslöser für ein gemeinsames Weihnachtsalbum von Wunderlich und Prey, das sie zusammen mit dem Schauspieler Will Quadflieg als Sprecher der Weihnachtsgeschichte und dem Ensemble um den Cembalisten Fritz Neumeyer verwirklichten – und das zu einem Klassiker seines Genres wurde.
Fritz Wunderlichs Tochter Barbara erinnert sich im Begleitheft der CD-Neuausgabe von “Eine Weihnachtsmusik” noch klar an die Geschichte der Aufnahme: “Wie fast alle anständigen Weihnachtsplatten entstand auch diese im Sommer, am 10. und 11.Juni 1966 im Polydor-Studio in München. Mein Vater brachte ganz stolz eine erste provisorische Kopie der Aufnahme direkt aus dem Studio nach Hause, versammelte umgehend die ganze Familie samt Hund und Katze im Wohnzimmer. Alle Rollläden mussten heruntergelassen werden, die Vorhänge wurden zugezogen, Kerzen angezündet, die Aufnahme wurde auf Vaters nagelneuem Tonbandgerät abgespielt. Plötzlich war uns Kindern, als wäre wirklich Weihnachten, trotz fehlendem Weihnachtsbaum und Gabentisch sowie der aktuellen 30 Grad Außentemperatur und obwohl wir gerade noch in Badeanzügen im Garten herumgetobt hatten. Diese kleine, eigentlich ungewöhnliche und doch für meinen Vater so typische ‘Inszenierung’ an jenem Sommerabend ist uns allen in schönster Erinnerung geblieben. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, dass dies unser letztes gemeinsames ‘Weihnachtsfest’ mit meinem Vater sein könnte.”
Fritz Wunderlich starb am 17. September 1966 an den Folgen eines tragischen Unfalls. So wurde “Eine Weihnachtsgeschichte” zu einer der raren LP-Aufnahmen, die der Tenor gemeinsam mit dem Bariton Herrmann Prey verwirklichte. Die beiden Sänger kannten sich seit 1959, waren jedoch bei unterschiedlichen Plattenfirmen unter Vertrag. Auf der Bühne, in Salzburg oder an der Münchner Staatsoper, konnte man sie zusammen in Opern wie der “Zauberflöte”, dem “Don Giovanni” oder “La Traviata” erleben. Auf Langspielplatte wurde die Zusammenarbeit jedoch selten dokumentiert. So blieb “Eine Weihnachtsmusik” eine Ausnahme, wenn auch eine ergreifende. Gesungen wurden traditionelle Lieder, ergänzt um Musik von Tommaso Albinoni und Georg Philipp Telemann. Der Schauspieler Will Quadflieg las die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium, ein Kammerensemble um den Cembalisten Fritz Neumeyer sorgte für den festlichen musikalischen Rahmen.
Es wurde ein Juwel der weihnachtlichen Klangkultur, ein wunderbares Dokument musikalischer Größe, und zugleich zu einem Nachruf auf eine Künstlerfreundschaft, die noch viele Höhepunkte hätte haben können. “Wir haben gemeinsam unzählige lustige Abenteuer und viele besinnliche Stunden erlebt”, schrieb Herrmann Prey in den originalen Liner Notes zu “Eine Weihnachtsmusik” von 1966. “Er [Fritz Wunderlich] konnte nächtelang über die Probleme des Lebens und über Musik diskutieren. Wenn ich mit ihm auf der Bühne oder vor dem Mikrofon stand, so waren das die schönsten Stunden meiner Sängerlaufbahn. […] Diese Platte, unsere letzte, haben wir quasi improvisiert, zusammen mit Fritz Neumeyer und seinen Musikern. Wenn ich sie heute höre, kann ich stellenweise nicht mehr genau sagen, wer eigentlich was im Augenblick singt. Unsere Stimmen verschmolzen zu einer”.
Und Barbara Wunderlich ergänzt: “Im November 1966, zwei Monate nach seinem Tod, erschien die Platte.Sie war mit einem Trauerrand versehen und einem Nachruf von Herrmann Prey. Anfangs war es für meine Familie unmöglich, sie anzuhören. Doch mit der Zeit überwogen die Freude an dieser besonderen Aufnahme und die vielen schönen Erinnerungen, die mit ihr verbunden sind, den Schmerz des Verlustes. Inzwischen gehört diese Platte bei uns so unumstößlich zum Weihnachtsfest wie Tannenbaum und Kerzen. Und manchmal, an einem heißen Junitag, kann es sogar heute noch passieren, dass einem von uns aus heiterem Himmel, ganz unvermutet, mitten im Sommer, plötzlich so weihnachtlich froh ums Herz wird. Welch ein Geschenk!”.