Gidon Kremer | News | Melancholische Gelassenheit – Gidon Kremer spielt Mieczysław Weinberg

Melancholische Gelassenheit – Gidon Kremer spielt Mieczysław Weinberg

Gidon Kremer
© Paolo Pellegrin/Magnum Photos
12.01.2017
Er war ein Mann, der zwischen allen Stühlen saß. Als Komponist war er kaum einzuordnen, was der Verbreitung seiner Musik lange Zeit im Wege stand. In der Frühphase seines Komponierens eher modern und experimentell ausgerichtet, finden sich in seinen späteren Arbeiten viele klassische und romantische Anleihen, die seinem Werk eine diskret harmonische, beinahe tröstliche Aura verleihen. Erstaunlich bei einem Komponisten, der eine so dramatische Vita hatte.
Mieczysław Weinberg entkam als polnischer Jude nur knapp den Nazis, und in seinem Exil, der Sowjetunion, wurde er von den Häschern Stalins verfolgt und eingebuchtet. Sein Fürsprecher, Dmitri Schostakowitsch, tat alles, um ihn freizubekommen, aber Weinberg kam erst nach Stalins Tod wieder aus dem Gefängnis. Wie ein Gegengift nimmt sich da seine Musik aus. Sie ruht in sich selbst und weist eine eigentümliche Gelassenheit auf. Es ist, als wolle der Komponist mit ihr sagen: Ich bin unabhängig. Ich existiere, komme, was da wolle.  

Unterschätzter Komponist: Mieczysław Weinberg (1919–1996)

Diese Beharrlichkeit, dieser unbeugsame Eigensinn hat neben der schönen Klangsprache, die Weinberg schuf, einen tiefen Eindruck bei Gidon Kremer hinterlassen. Der lettische Meistergeiger liebt den Melodienreichtum Weinbergs. “Dieser Mann”, so Kremer im Interview mit der neuen musikzeitung, “war viele Jahre komplett unterschätzt, fast vergessen; ich selber lebte mit dem Vorurteil, dass er nur ein zweitrangiger Schostakowitsch gewesen sei. Was für ein Fehler! Er hatte, ganz im Gegenteil, eine absolut eigenständige Stimme.”
Und um diese Stimme bemüht sich Gidon Kremer nun schon seit einigen Jahren. Erste Frucht dieser Bemühungen war ein Weinberg-Album, das er im Jahre 2014 bei ECM veröffentlichte und das für den Grammy nominiert wurde, mit einem kammermusikalischen Parforceritt durch das Gesamtwerk des polnisch-sowjetischen Komponisten. Jetzt legt Gidon Kremer in Sachen Weinberg nach und widmet sich gemeinsam mit seinem Kammerorchester, der “Kremerata Baltica”, den vier Kammersinfonien und dem Klavierquintett des neu zu entdeckenden Komponisten.        

Heiteres Spätwerk: Die Kammersinfonien

Momente von tänzerischer Heiterkeit birgt die erste Kammersinfonie (1987). Die unbändige Spielfreude der mit jungen Musikern so reich ausgestatteten Kremerata Baltica, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert, macht sich hier bezahlt. Impulsive und poetische Wucht besitzt die zweite Kammersinfonie (1987), die phasenweise stark an Schostakowitsch gemahnt und doch ein ureigenes Gepräge hat. Beeindruckt hier: die wehmütige Geigensequenz im dritten Satz, die Gidon Kremer mit tiefer Inbrunst spielt.
In seiner dritten Kammersinfonie (1991) verbindet Weinberg spätromantische mit meditativen Momenten. Bisweilen fühlt man sich an Mahler erinnert. Es ist, als ob die Musik eine Geschichte erzählt, als ob sie ein langes Leben rekapituliert. Dagegen versprüht die vierte Kammersinfonie (1991) eine Stimmung von erhabener Gelassenheit, in die sich nur von Ferne Töne eines schmerzhaften Unbehagens mischen. Etwas Besonderes hat es mit dem Klavierquintett aus dem Jahre 1944 auf sich.
Gidon Kremer hat es mit dem Perkussionisten Andrey Pushkarev neu arrangiert und präsentiert es hier erstmals der Öffentlichkeit. Das über weite Strecken elegisch-verträumt anmutende Werk erhält durch die perkussiven Elemente einen diskret tänzerischen, teilweise auch meditativen Ausdruck. Wenn man genau hinhört, dann spürt man, dass diese Momente im Original bereits angelegt waren. Die Pointe des Vorhabens: Auch Weinberg griff in seinen Kammersinfonien auf altes Kompositionsmaterial zurück und verlieh ihm eine neue Gestalt.

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