Wenig Verlässliches ist über die Kindheit
Giuseppe Verdis bekannt. Doch wenn man der vom Komponisten selbst überlieferten Anekdote glauben schenken darf, machte er bereits als Kleinkind eine erste, nicht weniger als sein Leben bedrohende Erfahrung mit den politischen Verwerfungen seiner Zeit. Ein Schlüsselerlebnis, das die Ausformung seiner künstlerischen Vision nachhaltig prägen sollte. Zur Zeit dieses frühkindlichen Erlebnisses stand Italien unter napoleonischer Kontrolle, doch die französische Herrschaft wurde im Norden des Landes durch Österreich und Russland infrage gestellt. Bei den Kämpfen um die Rückeroberung Parmas sollen russische Truppen durch Le Roncole, den Geburtsort Verdis, gezogen sein. Der Großteil der ansässigen Frauen und Kinder soll dabei, nachdem er vergeblich versucht hatte, Zuflucht in der örtlichen Kirche nehmen, von den Soldaten getötet worden sein. Verdis Mutter jedoch war es gelungen, den kleinen Giuseppe vor dem Tod zu bewahren, indem sie ihr Kind im Glockenturm versteckte. Welch ein Glück – und welch opernwürdiger Anfang!
Aufstieg zur Italienische Nationalikone
Der Sohn einfacher Wirtsleute bahnte sich trotz mannigfacher Rückschläge seinen Weg an die Spitze der italienischen Opernkultur. Die Ablehnung seiner Bewerbung um einen Studienplatz am Mailänder Konservatorium hielt Verdi nicht von dem Wunsch ab, Komponist zu werden. Eine tragischen Talschwelle seines Lebens überwand er nach dem Flop seiner zweiten Oper “Un giorno di regno” – zu einem Zeitpunkt, an dem er neben dem Tod seiner Kinder auch den seiner Frau betrauerte. Deprimiert stand Verdi vor dem Entschluss, das Komponieren aufzugeben. Doch es gelang es dem Direktor der Scala, ihn zu einem weiteren Werk überreden, das den Durchbruch für den Komponisten markieren sollte: “Nabucco”. Mit der Oper über die Babylonische Gefangenschaft des jüdischen Volkes gab Giuseppe Verdi der italienischen Einigungsbewegung eine Stimme. Die unisono vorgetragenen Passagen im berühmten “Va pensiero” des Gefangenenchors zeigen die das Musikalische transzendierende Vision Verdis auf: Nicht Einzelakteure, die Stars des Operngesangs, stehen hier im Vordergrund, sondern die Gemeinschaft. Mit dem Werk begründete Verdi nicht nur seine Weltkarriere. Er stieg damit auch zur Identifikationsfigur der italienischen Einigungsbewegung auf.
Verdis Größe
“Die Größe Verdis besteht in einer einfachen Sache”, schreibt der Musikkritiker Alex Ross. “Als der einzelgängerische Mann, der er war, fand er einen Weg, zu grenzenlosen Massen zu sprechen. Dabei bestand seine Methode darin, sich selbst vollständig in seine Charaktere zu versenken. Nie komponierte er Musik nur um ihrer selbst willen: Jede Note hat bei Verdi eine präzise dramatische Funktion. Die erstaunlichsten Passagen seiner Werke sind jene, in denen sich alle Stimmen zu einer Masse von urwüchsiger Kraft vereinigen – wie eine menschliche Welle, die imstande ist, alles vor sich herzuschieben.” Nach dem Erfolg von “Nabucco” tauchte Verdi in die Arbeit ab, verlebte seine Galeerenjahre, wie er später erklärte. In nur acht Jahren entstanden dreizehn Opern, darunter “Ernani”, “Macbeth” und “Luisa Miller”. Die Geschwindigkeit seiner Kompositionstätigkeit nahm in den 1850ern ab, doch entstanden nun viele seiner populärsten Opern, wie das Trio “Rigoletto”, “Il Trovatore” und “La Traviata” sowie “Simon Boccanegra”, “Un Ballo in Maschera”, “La Forza del Destino”, “Don Carlos” und “Aida”. Nach einer Phase von etwa 15 Jahren, in der er bis auf das Requiem kein bedeutendes Werk schrieb, schuf er im hohen Alter noch einmal zwei Meisterwerke, im Alter von 74 Jahren “Otello” und als 80-Jähriger die brillante Komödie “Falstaff”.
Der gesamte Verdi
Erstmals überhaupt präsentierte “
Verdi: Sämtliche Werke” anlässlich des 200. Geburtstags von Verdi wirklich alle Werke des Komponisten. Die limitierte und nummerierte Edition, die jetzt neu aufgelegt wird, enthält auf
75 CDs 30 komplette Opernaufnahmen, die die gesamte Evolution des Genies der italienischen Oper nachzeichnen. “Verdi: Sämtliche Werke” präsentiert neben den Opern auch das Requiem, sämtliche Sakral- und Vokalwerke, Arien, Lieder, Ballettmusik, Kammermusikwerke und Klavierstücke sowie eine Reihe von Raritäten. Die luxuriöse Box, die Aufnahmen aus den Katalogen von
Decca, Philips, Deutsche Grammophon und
EMI beinhaltet, wartet mit einem wahren Who-is-who der größten Stimmen und Dirigenten der letzten 50 Jahre auf: Es singen u.a.
Montserrat Caballé,
Mirella Freni,
Joan Sutherland,
Jessye Norman,
Renata Tebaldi,
Margaret Price,
Plácido Domingo,
Luciano Pavarotti und
José Carreras. Am Pult walten Maestri wie
Sir Georg Solti,
Herbert von Karajan,
Carlos Kleiber,
Carlo Maria Giulini,
Riccardo Muti,
Riccardo Chailly und
James Levine.