Giuseppe Sinopoli | News | Die Rolle hinter der Rolle

Die Rolle hinter der Rolle

18.07.2001
Keiner konnte so hartnäckig fragen wie Giuseppe Sinopoli. Mit “Lou Salomé” machte der das Nachbohren zur Bühnenfigur.
Er war nie unumstritten. Wollte es wohl auch nicht sein. Respekt aber, gegenüber seiner Arbeit und seiner Person, den forderte er von jedem, der sich ihm näherte. Und im Idealfall genoss er es, geliebt zu werden: von seiner Familie sowieso, aber auch von Freunden, Kollegen, und natürlich von seinem Publikum. Einem Publikum, dem das ganze Konzentration vermittelnde Gesicht seines Dirigenten mittlerweile so vertraut war, dass es hinter diesem Ausdruck den verletzlichen und überaus selbstkritischen Menschen Giuseppe Sinopoli ahnen konnte. So wie Sinopoli selbst hinter jeder Opernfigur etwas vermutete und nicht Ruhe gab, bis er wusste, was es war. Schließlich konnte man einem, der in seiner Doktorarbeit den Grenzbereich zwischen Medizin, Kriminologie, Anthroposophie und Psychatrie zum Thema erhob, so schnell nichts vormachen.
 
Nicht einmal sich selbst. Deshalb brauchte Giuseppe Sinopoli auch länger als andere, um seine Bestimmung in der Welt der Musik zu finden und sich mit ihr als Lebensaufgabe zu identifizieren. Dem Musik- und Medizinstudium stand nämlich gleichzeitig ein Kompositionsstudium bei Franco Donatoni zur Seite. Und so lautete die Frage, die sich Arzt, Psychologe, Komponist und Interpret in der Personalunion Giuseppe Sinopolis von Anfang an stellten: Was passiert mit unserer Psyche, wenn wir Musik hören? Kein Wunder, dass es den jungen Herrn Doktor bald nach Wien trieb, in die Stadt Sigmund Freuds und der Vertreter der Zweiten Wiener Schule – der Trias Schönberg, Berg und Webern.
 
Mit seinem Interpretationsanspruch und einem Dirigierstudium bei Hans Swarowsky begab sich Giuseppe Sinopoli hier auf die Suche nach seiner Musik, jener Musik, die seinem Charakter am stärksten Ausdruck verleihen konnte. Und fand sie zunächst an zwei entgegengesetzten Punkten der Musikgeschichte: in der radikalen Neuinterpretation von Opern des frühen Verdi auf dem einen, in eigenen Kompositionen mit solch klangvollen Namen wie “Symphonie imaginaire” oder “Tombeau d’Amour” auf dem anderen Ende der Skala. Und in seiner Oper “Lou Salomé”. Die Faszination, die von dieser bemerkenswerten Frau ausging, zu deren engsten Freundes- und Bekanntenkreis Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke zählten, reizte den Psychologen und Musiker Sinopoli gleichermaßen: Denn seine Oper handelt von der Angst der Lou Salomé, sich selbst zu erkennen, “in einer Abfolge von Bildern, die unterschiedliche Momente aus dem Leben Lous einfangen” und dies in einer Musiksprache, die jede Geste und jedes Wort mit einer heftigen Emotionalität ausstattet. Dabei ziehen die Begegnungen mit den historischen Personen wie ein Band mit Musikzitaten aus der Tradition der deutschen Romantik an uns vorbei. Aus dieser 1981 in München uraufgeführten Oper veröffentlichte die Deutsche Grammophon 1988 zwei Suiten unter der Leitung des Komponisten und mit Lucia Popp sowie José Carreras als Solisten. Aus gegebenem, traurigem Anlass sind sie nun wieder erhältlich und ein Muss für jeden, dem der Musiker und Mensch Sinopoli am Herzen liegt.
 
Wien aber war und ist auch die Stadt Hugo von Hofmannsthals gewesen. Jenes Dichters, der die tiefenpsychologische Durchdringung der Figuren zu seinem Thema und die Schönheit der Sprache zu seinem Prinzip erhoben hatte. Und der in dem Komponisten Richard Strauss den idealen Tonsetzer seiner Texte gefunden hatte. Wann aber Giuseppe Sinopoli auf das Duo Hofmannsthal/Strauss stoßen würde, war nurmehr eine Frage der Zeit. Mit “Die Frau ohne Schatten”, Hofmannsthals schwieriger Hommage an Mozarts “Zauberflöte”, feierte Sinopoli Triumphe an der Dresdner Semperoper. Mit seiner Lesart von “Elektra”, Hofmannsthals genialer Sophokles-Adaptation und Strauss' radikalster Partitur, schlug Sinopoli 1997 auf Deutsche Grammophon eine neue Seite in der Interpretationsgeschichte dieses viel interpretierten Werkes auf.
 
“Ariadne auf Naxos” schließlich, Hofmannsthals und Strauss' brillante Mixtur von barocker Commedia dell’Arte und Opera seria im neoklassizistischen Tonfall des frühen 20. Jahrhunderts, wird nun zum diskografischen Schwanengesang des Dirigenten Giuseppe Sinopoli. In der Nacht zum 20. April, dem Tag seines unerwarteten Todes, gab er diese Aufnahme zur Veröffentlichung frei. Vielleicht wird die Rezeption von Sinopolis klingendem Nachlass nicht unumstritten sein. Sie sollte aber geprägt sein vom Respekt gegenüber seiner individuellen Lesart. Am besten jedoch von der Liebe zu einem großen Musiker.

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