Giuseppe Sinopoli ist kein großer Bäcker. Aber seine Palmsonntagskonzerte sind mindestens so beliebt wie die berühmte sächsische Kalorienbombe.
Speisung für die Armen war üblich. Aber Dresdener Stollen, so fein er schmeckt, machte auf Dauer nicht richtig satt. Kultur schon – wenn sie bare Münze bringt. Und genau so begannen die Palmsonntagskonzerte: Sie sollten das Haus füllen für einen guten Zweck. Die Festkonzerte am ersten Sonntag der Karwoche sind entstanden, um Geld in die “Casse zur Versorgung der Musicorum Wittben und Waisen” fließen zu lassen. Und seit 1826, als Kapellmeister Francesco Morlacchi die seit 100 Jahren gepflegten Konzerte zur festen Einrichtung machte, floss es reichlich.
Denn die Idee war einfach, aber gut: Massenweise sollten die Menschen in die Semperoper strömen. Also entwarf man Konzertprogramme mit viel Mandeln und Rosinen. Konzertprogramme, die allen schmeckten: Eine Mischung aus Orchesterwerken und großer Chormusik – vielfarbig, abwechslungsreich, mit Wucht. In den ersten Jahren kam es gleich zu wahren Pioniertaten: die Aufführung von Georg Friedrich Händels “Messias” und seines “Judas Maccabäus”, Teile aus Ludwig van Beethovens “Missa solemnis” und eine “Matthäuspassion” von Johann Sebastian Bach mit 350 Musikern und Sängern. Aber als Richard Wagner 1846 Beethovens Neunte aufs Programm setzte, sahen die Herren im Orchestervorstand schwarz für die Witwenkasse.
Das Werk war so schwer und die Dresdner Erstaufführung acht Jahre zuvor war bei Publikum und Presse desaströs durchgefallen. Aber Wagner legte sich für Beethoven ins Zeug: Er nahm die Marketingzukunft vorweg und stimmte die Dresdner geschickt mit professioneller Pressearbeit auf die Aufführung ein. Chor und Orchester trieb er mit detailbesessenen Proben zu Glanzleistungen. Allein für das Finalrezitativ der Bässe setzte er zwölf Termine an, die Holzbläser bestellte er zu Einzelproben in seine Wohnung, die 300 Sänger im Chor versetzte er, wie es hieß, in “wahre Ekstase”.
Den spendenfördernden Pensionsfond gibt es zwar seit 1920 nicht mehr, doch die Idee der Palmsonntagskonzerte setzt sich fort. Giuseppe Sinopoli, der 1992 die künstlerische Leitung der Sächsischen Staatskapelle übernahm, sorgt dafür, dass die Tradition heute lebendiger ist denn je: Er knüpfte wieder an die Praxis des 19. Jahrhunderts an und gestaltete die Programme vielfältiger. Das kann jetzt hören, wer Ohren hat, auch ohne je in Dresden gewesen zu sein. Denn von den Palmsonntagskonzerten, von der Deutschen Grammophon regelmäßig mitgeschnitten, erscheinen zwei neu auf CD: die fünfte Symphonie von Anton Bruckner und das “Stabat Mater” von Antonín Dvorák. Zwei Kolossalwerke, die Sachsens Semper-Sound von der Elbe ins Wohnzimmer holen.