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“In memoriam Haydée”: Konzertauftritt von Márta und György Kurtág

Márta und György Kurtág
© LGM Télévision/ECM Records
18.02.2015
Komponieren ist keine Mechanik. Bei aller musikalischen Kenntnis und Technik bleibt es ein schöpferischer Akt, der auf Einfälle angewiesen ist. György Kurtág erlebte dies am eigenen Leib. Reich beschenkt mit musikalischen Gaben, legte er in jungen Jahren erst einmal richtig los: studierte, musizierte, komponierte. Er konnte gar nicht aufhören. Es war die reinste Lust. 

Schaffenskrise und Aufbruch

Bis ihn eines Tages eine schwere Schaffenskrise heimsuchte. Damals, Ende der 1950er Jahre, half ihm die Psychologin Marianne Stein. Sie riet ihm, sich auf zwei Töne zu konzentrieren und darauf aufzubauen. So wurde sie zur Geburtshelferin seines reduzierten Personalstils. In den späten 1960er Jahren dann eine erneute Schaffenskrise. Nichts ging mehr, wie damals. Alles schien verbaut. Diesmal half ihm Játékok. Das ungarische Wort bedeutet auf Deutsch so viel wie Spiele/Spielsachen. Gemeint ist das Spiel der Kinder. Kurtág unternahm eine Reise in die Kindheit, und er spielte im wahrsten Sinne des Wortes wieder Klavier.
Natürlich handelte es sich um eine imaginäre Reise. Die reale Kindheit ist irgendwann einmal vorbei. Kurtág ging es darum, das kindhafte, spontane Spielen als Erwachsener neu zu erlernen, und stieß damit auf eine schöpferische Quelle seines Komponierens. Die Blockade löste sich. Es flossen und fließen bis heute unzählige kurze Klavierstücke aus seiner Feder. Der Inhalt der Játékok-Bücher wächst stetig an und hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem schier unendlichen Reservoir betörender Klang-Miniaturen entwickelt, das der ungarische Komponist auch für andere Kompositionen nutzt.

Ewige Kinderseele

Diese kleinen Wunderwerke der modernen Kompositionskunst trägt er gerne mit seiner Frau Márta vor. Die Konzerte mit Márta sind legendär. Wenn man György mit Márta auf der Bühne sieht, dann kommt es einem so vor, als hätte er mit Játékok nicht nur den kindlichen Quellgrund seines Komponierens wiedergefunden, sondern als wolle er dem Publikum jetzt auch den spielerischen Sinn des Komponierens leibhaftig vorführen. Das ist so berührend und von so großer menschlicher und musikalischer Kraft, dass es nicht ausreicht, diese Musik zu hören. Man muss es gesehen haben, und das verleiht dem jetzt erschienenen Filmmitschnitt In memoriam Haydée. Játékok – Games and Transcriptions for piano solo and four hands eine beinahe zwingende künstlerische Berechtigung.

Márta, György und Bach

Der Film kam unter der Regie Isabelle Soulards zu Stande. Er ist einer sehr guten Freundin der Kurtágs, der Musikwissenschaftlerin Haydée Charbagi (1979–2008), gewidmet. Die DVD/Blu-ray zeigt in betont ruhigen Bildern ein Konzert, das am 22. September 2012 in der Cité de la Musique/Paris stattfand. Die Kurtágs spielen dort Stücke aus der Játékok-Sammlung und Bach-Transkriptionen von György Kurtág, darunter sowohl Werke für zwei Hände als auch für vier Hände. Die Atmosphäre im Konzertsaal ist hoch konzentriert. Es ist sagenhaft still. Die Kamera zeigt abwechselnd die Hände und das Profil der beiden Pianisten. Dabei hält sie stets einen Respektabstand und geht nur äußerst selten nah an die Gesichter heran. Trotzdem sieht man die Gesichter und erkennt, wie das Paar die Musik genießt und sie während des Spiels immer wieder von neuem entdeckt.

Über Musik kommunizieren: Das Paar

Bei den klangexperimentell dichten Kompositionen von Kurtág sticht das spielerische Moment besonders deutlich hervor. Es ist, als ob der ungarische Komponist einen noch unentdeckten Zusammenhang zwischen Neuer Musik und spontaner Kindlichkeit lichtete. So als habe er mit Játékok auch einen Wesenszug der Neuen Musik ermittelt: das wilde Ausprobieren und die unmittelbare Reaktion auf spontan ersonnene Klänge. Gravitätisch hingegen die Choräle von Bach, wie Nun komm, der Heiden Heiland oder Aus tiefer Not schrei ich zu dir. Das Paar trägt sie mit tiefer Inbrunst und großem Ernst vor. Bei alledem kommunizieren die beiden Kurtágs miteinander, sie streiten sogar musikalisch, wie in Beating – Quarelling, an dessen Ende sie herzhaft lachen. Manchmal überlagern sich die vier Hände, und man gewinnt den Eindruck: Auch die Hände spielen miteinander und verschmelzen im Spiel. Es ist atemberaubend, einfach ergreifend. Ein großartiges Paar, das großartige Musik zelebriert.

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