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Konzentration als ästhetische Maßnahme – Sämtliche Werke für Chor und Ensemble von György Kurtág

György Kurtág
© Karl Gabór / ECM Records
22.06.2017

Versierte Klangkörper

Feinfühligkeit und Präzision sind erforderlich, wenn man komplexe Werke der zeitgenössischen Musik adäquat interpretieren möchte. Über beides verfügt das Ensemble Asko|Schönberg in hohem Maße. Das niederländische Kammerorchester zählt seit Jahren zur Elite der Neue-Musik-Ensembles und hat sich vor allem mit seinen ebenso durchdachten wie packenden Interpretationen von Werken der ungarischen Komponisten György Ligeti und György Kurtág internationales Renommee erworben. Auch der Niederländische Rundfunkchor, der mit 74 Vokalisten den größten Berufschor der Niederlande darstellt, gilt seit vielen Jahren als versierter Klangkörper für zeitgenössische Musik.
Gemeinsam mit diesen beiden Spitzenensembles hat sich der Dirigent Reinbert de Leuuw ein besonderes Projekt vorgenommen: die Gesamtaufnahme aller Werke György Kurtág für Ensemble sowie für Ensemble und Chor. Kurtág feierte letztes Jahr seinen 90. Geburtstag und ist ein Komponist, der dem ECM-Chef Manfred Eicher von je her sehr am Herzen liegt, beide verbindet eine jahrzehntelange Zusammenarbeit, in der Kurtág auch als Interpret eigener Klavierwerke in Aktion trat.

Dokumentation von 50 Jahre Ensembleschaffen

Von März 2013 bis Juli 2016 fanden die Aufnahmen im Amsterdamer Musikgebouw und in der Philharmonie von Haarlem statt, an denen neben den beiden Ensembles auch eine Riege hochrangiger Solisten beteiligt war, unter anderen die russische Sopranistin Natalia Zagorinskaya, die serbische Pianistin Tamara Stefanovich und der französische Cellostar Jean-Guihen Queyras. Das daraus resultierende 3-CD-Set stellt einen Meilenstein in der in der Dokumentation des Werks des ungarischen Komponisten dar, bildet es doch über 50 Jahre von Kurtágs Schaffens für Chor und Ensemble ab, das chronologisch nach Kompositionsdatum zusammengestellt wurde.
Darunter finden sich so unterschiedliche Werke wie die “Vier Lieder auf Gedichte von János Pilinszky” op. 11, die zum Teil mit einem äußerst knappen Material von zwei oder drei Tönen auskommen – Wolfgang Sandner weist in seinem hervorragenden Booklet-Text darauf  hin, dass Konzentration im Werk von Kurtág “zugleich eine ästhetische Maßnahme und eine humane Einstellung” repräsentiert –, und das in seinem Namen auf Beethoven verweisende Ensemblestück “..quasi una fantasia… Op. 27 No. 1”, mit rastlos schweifenden Figuren im zweiten Satz.

Die Sprache des Komponisten lernen

Der Dirigent Reinbert de Leeuw betont, dass man “Kurtágs Œuvre Schritt für Schritt studiert und diese Stücke über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wieder und wieder aufgeführt” habe. Nach jeder Aufnahmesitzung beriet er sich intensiv mit György und Márta Kurtág. “Es gab Momente, in denen ich schon beim ersten Hören überwältigt war”, sagt der als kritisch bekannte Kurtág, “und wo wir das Resultat sofort annehmen konnten. Aber mitunter hatten wir Kritik. Die Tatsache, dass Reinbert stets auf unsere Anmerkungen hörte und Fragmente oder gar ganze Stücke nochmals einspielte, macht diese Veröffentlichung authentisch.”
Nach und nach lernten die Musiker anhand seiner Reaktionen, wie sich Kurtág seine Musik vorstellte. "Während der Proben zu Samuel Becketts “What is the Word” entstand eine Verbindung zwischen Asko|Schönberg and Kurtág", erklärt Reinbert de Leuuw. „Für mich ist das ganz essentiell. Ein Ensemble braucht Zeit, um die Sprache eines Komponisten zu verstehen und zu sprechen. Die Tatsache, dass die Musiker beim Proben den Gesichtsausdruck eines Komponisten sehen können, dass sie Zeugen sein können bei seinem eigenen Kampf auf der Suche nach der richtigen Interpretation, ist ganz entscheidend.“

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