Hans Werner Henze | News | Ein Moderner aus Liebe zur Tradition - Hans Werner Henze auf Deutsche Grammophon

Ein Moderner aus Liebe zur Tradition – Hans Werner Henze auf Deutsche Grammophon

Hans Werner Henze
30.07.2013
Hans Werner Henze war einer der bedeutendsten Komponisten der Nachkriegszeit. Unter den Tonsetzern, die nach 1945 das europäische Musikleben bestimmten, zählte er mit seinem riesigen und außergewöhnlich vielgestaltigen Werk zu den beliebtesten. Am 1. Juni 1926 in Gütersloh als erstes von sechs Kindern eines Lehrers geboren, zeigte er schon früh Interesse an Musik, wurde von 1942 in der Staatsmusikschule Braunschweig in den Fächern Klavier und Schlagzeug unterrichtet, zwei Jahre später aber zur Wehrmacht eingezogen. Nach kurzer britischer Kriegsgefangenschaft wurde Henze 1948/49 neuer Leiter des Deutschen Theaters in Konstanz, dann 1950 künstlerischer Leiter der Ballettabteilung am Wiesbadener Stadttheater.
„Bei den Menschen sein“
Im Jahr 1953 zog es Henze nach Italien, dem er sich musikalisch wie politisch verbunden fühlte. Sein Engagement für die kommunistische Partei sorgte in den sechziger Jahren in Deutschland für Protest, war für ihn aber ein Teil eines Künstlerverständnisses, das Aktivität und Bewusstheit im Umgang mit Musik einforderte. „Ich wollte immer bei den Menschen sein”, sagte er 2009 in einem Gespräch mit der FAZ. „Das Verweilen im Elfenbeinturm missfällt mir.“ Vor diesem Hintergrund rief er beispielsweise 1976 die „Cantiere internazionale d’arte“ in Montepulciano ins Leben, um den Kontakt und die Zusammenarbeit von Berufsmusikern und Laien auf dem Weg zu einer neuen, den passiven Konsum vermeidenden Musikvorstellung zu fördern.
Stilistischer Reichtum
Hans Werner Henze orientierte sich zunächst an der Zwölftontechnik von Paul Hindemith, rezipierte daraufhin intensiv den Neoklassizismus von Igor Strawinsky, um bald eine eigene vielgestaltige Klangsprache zu entwickeln, die zwischen Tonalität, erweiterter Tonalität und Atonalität vermittelt. Er integrierte im Laufe der Jahre serielle Techniken ebenso wie Aleatorik, Elemente des Jazz, instrumentales Theater oder auch Geräuschmontagen in seine Werke und griff dabei künstlerisch unideologisch auch auf traditionelle Momente zurück bis hin zu spätromantischen Orchestrierungseffekten.
Gewaltiges Oeuvre
Die bis zu seinem Tod im Oktober 2012 anhaltende Schaffensfreude Henzes bezog sich auf nahezu alle wichtigen Gestaltungsformen mit Schwerpunkt auf Bühnenmusik und medial experimentierender Musik. Er schrieb unter anderem zehn Symphonien, drei Violinkonzerte, zwei Klavierkonzerte, zwei Cellokonzerte, symphonische Etüden, verschiedentliche Kammermusik wie seine fünf Streichquartette und ein Bläserquintett, außerdem Vokalmusik unterschiedlicher Stilprovenienz von Madrigalen über neapolitanische Lieder bis hin zu halbszenischen Oratorien wie „Das Floß der Medusa“ oder das Recital „El Cimarrón“. Henzes enge Freundschaft zur Dichterin Ingeborg Bachmann führte zu gemeinsamen Projekten wie der Oper „Prinz von Homburg“, „Der junge Lord“ und Hörspielen wie „Die Zikaden“, „Nachtstücke und Arien“ und die „Lieder von einer Insel“.
Erste Deutsche Grammophon-Gesamtausgabe

„Hans Werner Henze – The Complete Deutsche Grammophon Recordings“ bringt erstmals alle Aufnahmen der Werke des Komponisten zusammen, die Henze selbst für das Label dirigierte, darunter die Symphonien Nr. 1–6, das Violinkonzert Nr. 1, das Klavierkonzert Nr. 1, „Tristan“, „Das Floß der Medusa“, „El Cimarrón“, und die „Elegie für junge Liebende“. Die 16CD-Edition beinhaltet zudem Einspielungen der Dirigenten Ferenc Fricsay, Christoph von Dohnanyi, Oliver Knussen und Claudio Abbado mit Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem London Symphony Orchestra und dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin. Zu den Solisten zählen Christoph Eschenbach, Heinz Holliger, Siegfried Palm, Dietrich Fischer-Dieskau und Edda Moser. Das umfangreiche Begleitheft enthält neben einem Essay von Max Nyffeler seltene Fotos und ein Interview, das Oliver Knussen 1996 mit dem Komponisten führte.