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Aschenmusik – Das neue Album von Heinz Holliger

Heinz Holliger
© Priska Ketterer / ECM Records
21.05.2014
Die “Cello-Romanzen” von Robert Schumann gelten als verloren. Der Komponist vollendete sie Ende 1853, wenige Monate vor seinem Selbstmordversuch und der anschließenden Einweisung in die Nervenheilanstalt Endenich, wo er seine beiden letzten Lebensjahre verbrachte. Clara Schumann soll das Manuskript 1893 verbrannt haben. Darauf lässt ein Brief von Johannes Brahms aus dem selben Jahr schließen. Brahms schreibt: “Schumann hat da allerlei hinterlassen, was keineswegs herausgebenswert war. Frau Schumann hat erst vor ein paar Wochen ein Heft Cellostücke von Schumann verbrannt, da sie fürchtete, sie würden nach ihrem Tod herausgegeben werden. Mir hat das sehr imponiert.”

Eigenmächtige Zensur

Zweifel am künstlerischen Wert einiger Werke, die Schumann aus der Nervenheilanstalt an seinen Verleger zu schicken gedachte, hatte Brahms bereits 1854 gegenüber Clara Schumann geäußert. In einem seiner Briefe an sie heißt es: “Haben Sie wohl gedacht, ob Sie ihrem Mann schreiben wollen, dass Sie ihm das Schreiben an Verleger abnehmen wollen, er möge nur die Werke durchsehen und in Ordnung bringen. Es ist doch manches, was mich das wünschen lässt. Ihr Mann könnte doch einmal übereilt etwas schreiben, das Sie nicht gut schicken könnten […] es ist doch nicht so gut, jene so offen seinen Zustand sehen zu lassen.” Clara Schumann teilte offenbar diese Ansicht. Die betreffenden Stücke, darunter die “Cello-Romanzen”, leitete sie nicht weiter.

“Barbarischer Zerstörungsakt”

Heinz Holliger hat sich sein Leben lang mit Schumanns Werk und Biografie auseinandergesetzt. Er hat ihn auf der Oboe gespielt, dirigiert und auch in seinem kompositorischen Schaffen ist Schumann ein zentraler Bezugspunkt. Dafür steht auch sein neues Album “Aschenmusik” für ECM New Series, auf dem er eine Auswahl von Schumanns Werken mit eigenen kombiniert. Herzstück der Aufnahme bilden Holligers “Romancendres” für Cello und Klavier (2003). Die Empörung über den “barbarischen Zerstörungsakt” Clara Schumanns veranlasste Holliger zu dieser vielschichtigen, Klang gewordenen Reflektion über die verlorenen Cello-Romanzen.

Beweisvernichtung?

Holliger hält es für möglich, dass Schumann in den Cello-Romanzen die Liebesbeziehung zwischen seiner Frau und Brahms “für Eingeweihte erkennbar” thematisiert hat. Mit musikalischen Codes hatte Schumann ja schon zuvor gearbeitet, so etwa im “Carnaval”, der unter anderem das Kryptogramm A-Es-C-H enthält, eine Tonfolge, die auf den Geburtstort seiner einstigen Verlobten Ernestine von Fricken verweist. “Es ist schon sehr auffällig, wie sowohl Brahms als auch Clara einer Veröffentlichung entgegenwirkten”, sagt Holliger. “Sie haben auch die meisten gegenseitigen Briefe verbrannt. Vielleicht waren die Romanzen gleichsam der letzte existierende ‚Brief‘ in dieser Sache. Aber das bleibt natürlich Spekulation.”

Verschlüsseltes Werk

Das Spiel mit verschlüsselten Botschaften treibt Holliger in den “Romancendres” bis zum Äußersten. Der Komponist hat Zitate aus Werken der Schumanns und Brahms eingeflochten. Mit dem Ziel, das Unkenntlichmachende der Einäscherung allegorisch abzubilden, entwickelte er neue Spieltechniken für das Klavier, die eine klangliche Unterscheidung vom Cello streckenweise unmöglich machen. Er übersetzte Briefpassagen von Brahms, einzelne Wörter und Namen mithilfe eines Alphabets von Tonhöhen und -dauern in Motive und Rhythmen; Lebensdaten von Brahms, Schumann und seiner Frau verwandelte er in Metronomzahlen. Aus der Idee, eine Musik aus der Asche, “Romanzaschen” zu schreiben, leitet sich der französische Titel “Romancendres” ab, ein zusammengesetzes Fantasiewort, das auf die Initiale Robert Schumanns, Endenich und Ende verweist.
“Romancendres” wird umrahmt von Schumanns "Romanzen für Oboe und Klavier”, die seit 60 Jahren zum Repertoire des Solisten Heinz Holliger zählen, und Schumanns selten gespielten Sechs Stücken in Kanonischer Form, von Theodor Kirchner arrangiert für Oboe d’amore, Violoncello und Klavier. Schumanns erste Sonate für Pianoforte und Violine in einer Fassung für Violoncello und Klavier beschließt dieses faszinierende Album, das von Holliger (Oboe), der Cellistin Anita Leutziger und Pianist Anton Kernjak eingespielt wurde.

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