Musik wird mit Sicherheit dazu gehören, wenn Helmut Schmidt im kommenden Dezember seinen 90.Geburtstag feiert. Sie war immer schon Teil seines Lebens, als geistiges Refugium, als Inspiration, ein Hort der Kraft, die sie aus unerfindlichen Gründen zu verströmen vermag. Und unter all den wunderbaren Werken, die die Geschichte bislang erlebt hat, zählen die Kompositionen von Johann Sebastian Bach zur Grundlage klanglicher Finesse überhaupt, ein schier unerschöpfliches Reservoir der großartigen Melodien, Ideen und Strukturen. So entstand im Gespräch Helmut Schmidts mit den befreundeten Pianisten Justus Frantz und Christoph Eschenbach vor mehr als zwei Jahrzehnten die Idee, ob sie gemeinsam dem barocken Meister anlässlich dessen 300.Geburtstags würdigen sollten. Gedacht, getan, im Februar 1985 kam es zu den Aufnahmen von vier Konzerten für zwei, drei und vier Klaviere, bei dem sich Helmut Schmidt und der damals noch frisch in der Szene aktive Gerhard Oppitz zu den beiden berühmten Kollegen gesellten. Zusammen mit der 2007 entstandenen Dokumentation “Helmut Schmidt außer Dienst” werden sie nun in einer exklusiven Box veröffentlicht, einem großen Staatsmann, Humanisten und Künstler zu Ehren.
Gerade einmal acht Jahre stand Helmut Schmidt an der Spitze des westdeutschen Staates und trotzdem hat seine Kanzlerschaft nachhaltig die Zeitläufe verändert. Denn bei allen aktuellen Sachzwängen stellte er stets die politische Kultur in den Vordergrund, im Sinne einer grundlegenden humanistischen Vereinbarung, das Verweilen auf der Erde für alle Menschen erträglich zu machen. Das ist eine Frage der Haltung, die den intellektuellen Hanseaten bis heute bestimmt, auch wenn er manches aus altersweiser Voraussicht nicht mehr ganz so streng sieht wie früher. Als ihn Sandra Maischberger und Jan Kerhart für die Aufnahmen ihrer Dokumentation “Helmut Schmidt außer Dienst” zu unterschiedlichen Themen seiner turbulenten Biografie befragten, kamen eben auch Antworten wie: “Ich bin nicht wirklich vernünftig. Ich tu bloß so”, begleitet von einem spitzbübischen Blick, der hinter der Fassade des Grandseigneur der Republik wieder jenen kleinen Jungen im Geiste aufblitzen lässt, der ihm stets die Offenheit und Neugier auf die Welt der anderen erhalten hat.
Die Dokumentation wurde ein sehr persönliches Portrait von Helmut und sein Frau Loki Schmidt, die von den Kameras über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg auf Reisen etwa nach China und in die USA, aber ebenso in ihre Hamburger Heimat und dem Zweitdomizil am holsteinischen Brahmsee begleitet wurden. Dabei ging es den Journalisten weniger um die Stationen einer politischen Karriere als vielmehr um die Hintergrunde und Meinungen, die Zeitgenossen mit einer derart umfassenden Lebenserfahrung mitzuteilen vermögen. Und natürlich streiften die Gespräche auch immer wieder das Thema Kultur und Herzensbildung: “Ohne Musik wäre mein Leben wahrscheinlich ganz anders verlaufen”, gab Schmidt an einer Stelle zu bedenken und ließ die Gedanken zu Freunden wie Justus Frantz schweifen, in dessen Domizil auf Grand Canaria dem Staatsmann, Verleger und Philosoph manch besonderer Einfall kam.
Denn die Atmosphäre des Künstlerischen, Kreativen, im Klavierzimmer wie unter dem Sternenhimmel auf der Terrasse inspirierte und bei einer dieser Gelegenheiten entstand die Idee, sich gemeinsam musikalisch vor dem Genie Bachs zu verneigen. Aufgenommen wurde dann im Februar 1985 in der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg Harburg mit Schmidt, Eschenbach, Frantz, Gerhard Oppitz und den Hamburger Philharmonikern. Das Album erschien wenige Monate später im Jubiläumsjahr, erregte einiges Aufsehen und wird nun in einer exklusiven Edition sowohl als buchähnliches Hochformat wie auch im geläufigen CD-Format in Kombination mit der 2007 erstmal in der ARD gesendeten Dokumentation “Helmut Schmidt” als Geburtstagsgruß und Zeitdokument veröffentlicht.
Die prophetischen Worte, die der Altkanzler schon der Erstausgabe im Beihefttext mit auf den Weg gab, haben dabei seitdem nicht von ihrer Relevanz verloren: “Musik ist ein internationales, ein transnationales kulturelles Phänomen. Ohne Musik zu leben – das könnte das Schicksal einer Generation werden, die in einem Meer von Geräuschen ertrinkt. Es geht um Bewahrung und immer Neuerschaffung der Musikkultur. Lasst uns dafür sorgen, dass in unseren Wohnungen und Schulen gesungen und Musik gemacht wird, auf das die Nachwachsenden lernen, daran Freude zu haben”, Wie Helmut Schmidt und seine Freunde an den vier Hamburger Flügeln.