Im 18. Jahrhundert verdrehte der junge
Mozart als begnadetes Wunderkind der Musikwelt den Kopf, bekanntermaßen früh begann er selbst zu komponieren und hat in seinem kurzen Leben ein reiches Oeuvre einzigartiger Meisterwerke hinterlassen, zu dem auch fünf Violinkonzerte gehören – die
Nr. 5 ist 1775 während seiner Zeit als Konzertmeister in Salzburg entstanden. 75 Jahre später befasste sich auch der belgische Geiger und Komponist
Henri Vieuxtemps mit virtuoser Kompositionskunst für sein Instrument. 1850 hat er in St. Petersburg die Musik für sein
Violinkonzert Nr. 4 geschrieben, das hörbar von der Pariser und Wiener Klassik geprägt ist.
Für Hilary Hahn gehören die beiden Violinkonzerte zu den künstlerischen Grundpfeilern ihres Konzertrepertoires: “Mozarts Fünftes und Vieuxtemps' Viertes Violinkonzert sind ein Teil von mir. Sie erinnern mich an das reiche Erbe der klassischen Musik und das wundervolle Weiterleben von Traditionen – und sind dabei doch zeitlos. Wenn ich diese Musik mit meinen Kollegen auf der Bühne spiele, reflektiere ich nicht über die Vergangenheit – ich bin ganz im Dialog mit dem Orchester gefangen und freue mich auf das, was die nächste Phrase bringen wird.” Diese Spielfreude ist auf Hilary Hahns neuem Album nicht zu überhören. Im Zusammenspiel mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi entspinnt sich ein fantastischer musikalischer Dialog.
Höfische Eleganz und türkisches Feuer
Mozarts farbenfrohe Musik beflügelt die Fantasie. Die raffinierten Phrasen, die intensive Interaktion zwischen Solistin und Orchester und die heitere Grundstimmung der Musik versprühen über alle drei Sätze einen unwiderstehlichen Charme. Es ist das anspruchsvollste und melodisch einprägsamste seiner fünf Violinkonzerte. Prickelnde Tremoli eröffnen den ersten Satz, aufsteigende Dreiklänge steigern die Spannung – so wird der Einsatz der Geige grandios vorbereitet. Der Opernkomponist Mozart ist hier ganz in seinem Element – die Solovioline ist die Diva seiner musikalischen Inszenierung.
Im gefühlvollen Adagio des zweiten Satzes lässt Hilary Hahn ihr Instrument wunderbar singen. Das Konzert trägt den Beinamen “das Türkische”, weil es mitten im dritten Satz mit einem feurigen, türkischen Marsch überrascht, der wie ein musikalischer Faschingsscherz im reizvollen Kontrast zum höfisch-eleganten Menuett steht. Voller Schwung und virtuoser Ausdruckskraft meistert Hilary Hahn Mozarts musikalische Achterbahnfahrt voller facettenreichter Emotionen und krasser Akzente. Die Kadenzen, die Hilary Hahn für das Album ausgewählt hat, stammen von Joseph Joachim, einem Virtuosen und Komponisten des 19. Jahrhunderts und einem Zeitgenossen von Henri Vieuxtemps.
Sinfonische Züge und virtuose Spielfreude
“Monsieur Vieuxtemps ist ein ungeheuerlicher Violinist im wahrsten Sinne des Wortes. Er bringt Dinge zustande, die ich noch nie von einem anderen erlebt habe. Er geht Risiken ein, die die Zuhörer zwar in Angst und Schrecken versetzen, ihn selber jedoch nicht im geringsten beunruhigen, da er genau weiß, daß er heil davonkommen wird.” So äußerte sich der französische Komponist Hector Berlioz voller Bewunderung über Vieuxtemps. Dessen Viertes Violinkonzert schlägt eine klangvolle Brücke vom klassischen zum romantischen Stil und strotzt vor Kreativität und Ausdruckskraft. Anstelle der drei Sätze, die man klassischerweise in einem Solokonzert vorfindet, hat dieses Konzert vier Sätze – wie eine Sinfonie.
Nach einer langsamen Einleitung geht der erste Satz über einen einzelnen Ton im Horn direkt über in das atmosphärische Adagio religioso, über dessen feierlichen, choralartigen Fundament sich eine zauberhafte Melodie der Sologeige entspinnt. Im Scherzo ist daraufhin virtuoses Fingerspitzengefühl gefragt, wenn Hilary Hahn im Zweiertakt gegen den Dreivierteltakt des Orchesters anspielt. Das Finale marziale ist Vieuxtemps’ musikalische Verbeugung vor Beethoven, Schumann und Berlioz.