Die Pressemitteilung verkündete apodiktisch: “The Hilliard Ensemble’s last concert will be on 20 December 2014 in London, after which they will retire”. Countertenor David James, das einzige Gründungsmitlied in der aktuellen Formation des legendären Vokalensembles, verriet im Interview mit Classical Music Hintergründe. “Natürlich wollen wir nicht, dass es zu Ende geht. Doch es gibt nun einmal diese alte Sache mit dem Anno domini und drei von uns sind nun in ihren Sechzigern.”
Angesichts des heranrückenden 40. Jubiläums habe die Gruppe ihre Gedanken auf die Zukunft gerichtet und drei Szenarien durchgespielt, sagt James: ein Hilliard-"Franchise" mit neuen Mitgliedern zu werden, allmählich kürzer zu treten und weniger zu reisen oder, die schwerste Entscheidung, “ein Enddatum festzulegen und abzutreten, während man noch gut bei Kräften ist”. Nach eingehender Selbstbefragung wählten die aktuellen Hilliards Roger Covey-Crump (Tenor), Steven Harold (Tenor), Gordon Jones (Bariton) und David James die letzte Option.
Letztes Album und Abschiedstournee
So beginnt er nun, der Anfang vom Ende einer der wichtigsten männlichen Gesangsgruppen für Alte und Neue Musik der vergangenen Jahrzehnte. Ein neues Album, “Il Cor Tristo”, erscheint am 15. November. Das Hilliard Ensemble wird am 11. Dezember, genau 40 Jahre nach seinem ersten Auftritt, mit einem Konzert beim Londoner Spitalfields Festival seine letzte Tour starten. Das Programm entspricht zu weiten Teilen dem des Konzerts von 1973: Musik von Byrd und Britten, dazu Pérotin, Victoria, Josquin des Prés und ein neues Auftragswerk von Roger Marsh, “Poor Yorrick”.
Ein großes Jubiläumskonzert in Deutschland ist für den 13. Dezember in der Münchener Jesuitenkirche St. Michael geplant. 2014 geht die Gruppe auf Welttournee. Zu den Höhepunkten gehören das Revival von “I went to the house but did not enter”, Heiner Goebbels’ Musiktheaterstück für das Hilliard Ensemble, an der Opéra de Lyon und die gemeinsamen Auftritte mit Saxofonist Jan Garbarek im Rahmen der letzten Officium-Konzerte in Österreich, Deutschland, Italien, in der Schweiz und in Großbritannien.
Nahtlose Übergänge zwischen “alt” und “neu”
Mit seinem neuen Album “Il Cor Tristo” für Manfred Eichers ECM New Series zeigt das Hilliard Ensemble noch einmal seinen unverkennbaren Stil und seine vollendete Kunst in der Interpretation von Alter und zeitgenössischer Musik. Titelstück des Albums ist eine Vertonung der Gesänge 32 und 33 aus Dantes “Inferno” durch den britischen Komponisten Roger Marsh. Das Vokalwerk verknüpft Kompositionstechniken der Renaissance und ein modernes Idiom. Seine drei Teile sind auf diesem Album um eine Auswahl von Madrigalen Bernardo Pisanos (1490–1548) und Jacques Arcadelts (1507–1568) herum angeordnet. Dadurch erscheinen die Übergänge zwischen “alt” und “neu” – typisch für das Hilliard Ensemble – nahtlos und das gesamte Album wie ein einziges großes Vokalwerk für vier Männerstimmen.
Noch einmal Sankt Gerold
Roger Marshs “Il Cor Tristo” wurde vom Hilliard Ensemble im September 2008 beim Sagra Musicale Umbra in Perugia uraufgeführt. Die vorliegende Version wurde wie auch die Stücke von Pisano und Arcadelt im November 2012 in Kloster Sankt Gerold aufgenommen, an dem Ort, wo eine Vielzahl von Aufnahmen der Gruppe für ECM New Series entstand, so auch die drei Erfolgsalben mit Jan Garbarek, das Bach-Projekt mit Christoph Poppen und die Motetten von Guillaume de Machaut. Paul Griffiths schrieb den Begleittext zum neuen Album. Das Booklet beinhaltet die Dante- und Petrarca-Passagen, abgedruckt in italienischer und englischer Sprache.
Wiederveröffentlichungen aus dem Katalog von ECM New Series
Das Hilliard Ensemble nimmt seit 1987 für ECM New Series auf. Über 30 Alben sind aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Gruppe und begleitend zur Abschiedstournee wird es eine Reihe von Wiederveröffentlichungen geben. KlassikAkzente veröffentlicht dazu eine Serie von Artikeln.