Auch ein verwöhntes Ohr ist nicht vor Überraschungen gefeit, die einem regelrecht Wonneschauer über den Rücken jagen. Ein solches Ausnahmewerk ist die lange Zeit als verschollen geglaubte und erst 2007 in Paris wiederentdeckte Messe „Ecco sì beato giorno“ von Alessandro Striggio. Was für Musik, was für eine musikalische Gewalt! Wenn man diese Musik hört, glaubt man verstehen und nachvollziehen zu können, warum das Zeitalter der Renaissance Menschen von titanischem Charakter hervorzubringen imstande war. Menschen, die sich ihres außergewöhnlichen Menschseins in einer Epoche nachgerade revolutionären Aufbruchs bewusst waren und sich bei all dem doch eine bewundernswerte religiöse Demut ohne sklavische Unterwürfigkeit bewahrt hatten.
Alessandro Striggio, um 1536 geboren, war der Sohn und Erbe eines Edelmannes aus Mantua. Er kam 1559 an den florentinischen Hof Cosimo I. de’Medicis und avancierte schnell zum bestbezahlten Mitglied des musikalischen Establishments am Hof. Seine besondere Stellung bei Hofe erlaubte es ihm, seine Tätigkeit zwischen diplomatischen Missionen für den Herzog von Mantua und kompositorischer Arbeit für die Familie der Medici zu teilen. Neben einer Vielzahl von Madrigalen, diverser Hochzeitsmusiken für die Medici schrieb er auch einige sakrale Werke, darunter die Messe „Ecco sì beato giorno“, die er ab 1567 an verschiedenen europäischen Höfen zur Aufführung brachte, darunter in München vor Albrecht V. und in Paris im Beisein des jungen Charles IX. und dessen Mutter, Katharina von Medici, einer Kusine von Cosimo de’Medici.
Die Aufführungspraxis europäischer Musik im 16. Jahrhundert folgte ihren eigenen Gesetzen. Es war durchaus üblich, dass man eine musikalische Vorlage den Bedingungen und aufführungspraktischen Möglichkeiten der jeweiligen Orte anpasste und damit kein Sakrileg am Urtext beging. Ziel war stets der größtmögliche klangliche Effekt. Der Dirigent dieser Erstaufnahme, Robert Hollingworth, folgt jener Praxis und wies den fünf achtstimmigen Chören jeweils besondere Instrumentengruppen zu: Chor I die Streicher, Chor III die Blechbläser, Chor V ein gemischtes Consort aus Blechbläsern, Streichern, Blockflöten und Holzbläsern und überließ die Chöre II und IV weitgehend den Sängern.
Das Ergebnis ist schlichtweg überwältigend. Bereits von der CD bekommt man einen Eindruck von der Klanggewalt dieser Komposition. Um wie vieles mehr erst müssen die Hörerinnen und Hörer in den sakralen Bauten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von der schieren Klangfülle und vokalen wie instrumentalen Kraft dieses Werkes beeindruckt und fasziniert gewesen sein. Mit der vorliegenden Aufnahme ist Robert Hollingworth und seinem Ensemble I Fagiolini zweifellos eine der spannendsten musikalischen Wiederentdeckungen des noch jungen Jahres 2011 gelungen und sie haben mit nicht weniger als neun Welt-Ersteinspielungen wahre Pionierarbeit für die Chormusik im Bereich der Alten Musik geleistet. Auf der beigefügten DVD kann man darüber hinaus den Entstehungsprozess der Komposition ebenso bildhaft verfolgen wie einen Eindruck von der akribischen Detailarbeit dieser großartigen Aufnahme erlangen.
Im Juni sind Robert Hollingsworth und I Fagiolini zu Gast bei den diesjährigen Händelfestspielen in Halle und präsentieren sich am 11. und 12. Juni, jeweils um 14.30 Uhr im Goethe-Theater Bad Lauchstädt mit Orazio Vecchis „L’Amfiparnaso“.