Kometenhafter Aufstieg
Schon damals durfte man seine Bemerkung nur bedingt ernst nehmen. Denn so unbestritten sein biologisches Alter war, so frisch war andererseits doch seine Interpretationskunst. Von Ermüdungserscheinungen konnte bei Itzhak Perlman jedenfalls nicht die Rede sein. Sein Spiel veränderte sich langsam. Es setzte neue, überraschende Akzente. Zugleich blieb es aber stets als das typisch perlmansche erkennbar, mit seinen eigenwilligen Phrasierungen, der scharfkantigen Präzision und dem leidenschaftlichen Ausdruck.
Der israelische Geiger hatte sich früh schon eine stilistische Basis geschaffen. Als er 1958 nach New York kam und im Alter von nur 13 Jahren in der Ed Sullivan Show auftrat, da war er schnell berühmt. Sein Spiel war so hinreißend und perfekt, dass jedem klar war: Ein Genie ist geboren. Zweifel an der Mission des jungen Künstlers waren unangebracht. Sein Selbstbewusstsein war stark. Der junge Mann strahlte Sicherheit aus, und seine Begabung trug ihm viel Bewunderung ein.
Ungebrochene Vitalität
1964 gewann er den renommierten Leventritt-Wettbewerb und legte damit den Grundstein seiner professionellen Laufbahn. Damals war er 18 Jahre alt und bereits ein international gefragter Mann, der fortan mit den angesehensten Orchestern und Dirigenten auftrat. Der frühe Durchbruch bestärkte Perlman doppelt. Seine außerordentlichen Fähigkeiten wurden nun auch vom Fachpublikum anerkannt, und mit diesem erneuten Rückenwind konnte er sich ganz auf seine Kunst konzentrieren.
Das tat er dann auch, und die Frucht seines unermüdlichen Musizierens waren gefeierte Jahrzehnte mit brillanten Aufnahmen und großen Auftritten. Am 31. August 2015 begeht Itzhak Perlman nun seinen 70. Geburtstag, und wenn man ihn auf seiner großen Jubiläumsedition, die Deutsche Grammophon jetzt zu Ehren des israelischen Ausnahmekünstlers veröffentlicht, in älteren und jüngeren Aufnahmen Geige spielen hört, dann ist man überwältigt von der durchgängigen Vitalität und Spielfreude dieser mitreißenden Persönlichkeit.
Würdigung nach Maß
Gewiss, Perlmans Spiel bewegte sich schon immer jenseits des Alters. Es besaß früh schon Reife und behielt doch stets den aufbegehrenden Furor der Jugend bei. Was mit den Jahren allerdings hinzukam, war die harmonische Verbindung von Leidenschaft und Reife. Darin ist Perlman einzigartig. Auf diesem Gebiet macht ihm niemand etwas vor. Er hat das Geigenspiel zu einer Vollendung geführt, die uneinholbar scheint, und die Edition “Itzhak Perlman – Sämtliche Aufnahmen bei Deutsche Grammphon” ist ein ergreifender Beweis dafür.
Perlmans Aufnahmen beim Gelblabel und
Decca umspannen einen Zeitraum von 33 Jahren (1968–2001). Das Repertoire ist so umfassend, dass es einen Gesamteinblick in die Geigenliteratur der klassischen Tradition bietet. Damit ist die Edition nicht nur für eingefleischte Kenner der Geigenmusik interessant, sondern auch für Laien, die einen Einstieg suchen. Und egal was Perlman spielt, ob er Bach (CD 25), Mozart (CDs 4–6, 17–22), Beethoven (CDs 11–15), Strawinski,
Alban Berg oder
Edward Elgar (CDs 1–2) interpretiert – seine impulsiven Aufnahmen haben stets Referenzcharakter und verweisen mit Namen wie
Zubin Mehta,
Vladimir Ashkenazy und
Daniel Barenboim auf die größten Dirigenten und Solisten der Klassikwelt.
Das i-Tüpfelchen der insgesamt 25 CDs umfassenden, limitierten Jubiläumsedition ist schließlich die edle Rahmung: Die CD-Hüllen sind dem Design der jeweiligen Ersterscheinung nachempfunden. Beigefügt ist der Ausgabe ein sorgfältig ausgearbeitetes Booklet, das einen informativen Essay des Geigenspezialisten und Perlman-Kenners Tully Porter enthält sowie einen Beitrag mit persönlichen Erinnerungen von Itzhak Perlman selbst. Dazwischen sieht man kunstvoll arrangierte Fotos, die während der damaligen Aufnahmen gemacht wurden und einen faszinierenden Einblick in die schöpferische Arbeit des Geigers gewähren. So entsteht ein Gesamtportrait, das einen großen Künstler auf edle Weise würdigt.